Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Wir waren froh, dass wir befreit wurden. Natürlich, als ich unsere Soldaten sah… Sie hatten Schulterstücke, die wir noch nicht kannten. Wir begriffen aber: Das sind unsere Soldaten. Sie können sich das nicht vorstellen… Zuletzt dachten wir, man könnte uns töten.
  2. Wer ukrainische Freunde hatte, wandte sich an sie. Anrufen konnten wir nicht, also musste jemand unter dem Stacheldraht hinaus kriechen und Bescheid sagen. Da spürten wir schon etwas, wir hörten den Kanonendonner. Und wir freuten uns, als wir das Schlachtgetöse hörten.
  3. Unsere (Flugzeuge) bombardierten die Stadt, d.h. sowjetische, russische. Wir waren im Ghetto, und während der Luftangriffe hörte ich nichts. Denn unsere Flugzeuge waren klein und warfen ihre Bomben sehr gezielt ab. Der Bahnhof in Shmerinka war einer der schönsten Europas. Er ist auch heute schön, das Dach über den Gleisen ist aber komplett abgerissen worden, der Bahnhof sieht aus wie ein gerupftes Huhn.
  4. Die Architektur war sehr schön, er galt als einer der schönsten in der Sowjetunion. Also, von den gezielten Luftangriffen hörte man nichts. Aber als die Deutschen sich zurückzogen und begannen Shmerinka zu bombardieren, war das grauenhaft, blanker Horror. Auch wenn sie nicht oft trafen… Unser Haus ist Gott sei Dank erhalten geblieben. In der Nähe kam eine 20-Zentner Bombe runter, sie explodierte an der Schule. Der Trichter war etwa fünf Meter tief, es war grauenhaft.
  5. Also, ich lief nach draußen… Der Hausherr hatte uns Sonnenblumenkerne gegeben. Ich hielt sie in der Faust und rannte nach draußen. Es war vergebens: Die Flugzeuge flogen, die Soldaten rannten, und ich kleiner Junge biete die Kerne an. Ich lief ihnen nach. Sie kamen zum Lager der „Handelsunion“, wo es Wein gab u.a.
  6. Ich nahm dort Bleistifte mit und lief weiter. Es war ein Gefecht im Gange, und ich lief mit unseren Soldaten mit – ein dummer Junge. An der Eisenbahnlinie gab es einen niedrigen Zaun, den auch ich überwinden konnte. Ich lief ihnen nach und sah dann: Wenn ein Soldat fiel, wurden ihm gleich (die Stiefel) abgezogen.
  7. Auch Zivilisten, die mitliefen, taten das. Denn Fußbekleidung war heißbegehrt. Man hat auch Todesgefahr in Kauf genommen: die Kabel, die Wagen verbinden – die Deutschen erschossen einen (dafür) auf der Stelle, ohne Prozess. Und trotzdem schnitt man sie ab, man riskierte es und machte dann Sohlen daraus. Das war so eine Zeit.
  8. Was ich noch sagen möchte: Wir konnten überleben, weil unsere Truppen die Front durchbrachen. Sie bewegten sich so schnell, dass (die Deutschen) sich nicht (mehr) um uns kümmerten. Sie flohen so schnell wie sie nur konnten. In Shmerinka sah ich keine mehr, vielleicht waren nur noch wenige Verteidiger da. Einmal ging ich am Hospital vorbei, da war auch die Eisenbahnerschule, die ich später besuchte.
  9. Und als ich zum Hospital kam, sah ich tote deutsche Soldaten da liegen. Ich war sehr erschrocken und lief gleich weg. Unterwegs stürzte ich in einen kleinen Keller und wurde bewusstlos. Dann kam ich nach Hause und hatte einige Tage lang Fieber. Vielleicht kam das vom Schrecken oder weil ich in den Keller gefallen war. Oder es kam eher vom Hunger, denn ich wurde bewusstlos in diesem Keller.
  10. Jedenfalls weiß ich nicht, wie lange ich dort lag. Aber als ich nach Hause kam, hatte ich schlimme Kopfschmerzen. Ja, so war es. Und später, am 18. März wurden sie weggejagt und wir wurden befreit. Einige Tage später… Nein, das war etwa zwei Wochen später – Anfang April fiel so viel Schnee, dass wir am Morgen kaum die Tür öffnen konnten. Gegen Mittag war er schon geschmolzen, weil die warme Sonne aufgegangen war. Das blieb mir in Erinnerung.