Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Wir warteten natürlich auf die Befreiung. Wir dachten: Ja, die Sowjetmacht ist für uns. Wir wussten aber nicht, wie er (Stalin) ist. Wir glaubten an seine Güte. So ist es bei jedem Volk, einfache Leute wissen nicht, was oben abläuft. Wir glaubten an ihn, ich war bereit, für Stalin mein Leben zu opfern. So sah ich es als Kind. Ich sah, dass Hitler Erschießungen befahl und dass Stalin uns befreien wollte – „Wann kommen unsere (Truppen)?“
  2. Sie können sich nicht vorstellen, wie groß diese Erwartung war. Und als unsere Truppen kamen – „Mein Gott!“ Umso mehr nach dem Sieg, wir dachten, dass das Paradies kommt. Dann aber – um Gottes willen! Wie gesagt, 1946/47 glaubten wir nicht, dass wir überleben könnten. Du kommst morgens nach draußen, da liegen Tote. Sie können sich keine Vorstellung davon machen.
  3. Die Rente für unseren Vater war ein Schmähgeld – 187 Rubel. Das erhielt meine Mutter, sie selbst war nicht erwerbsfähig. Denn der Vater, er war der Brotgeber. Nach dem Tod des Vaters klagte sie Tag und Nacht, wusste nicht, was sie machen sollte: „Wäre er ohne Beine und Arme zurückgekommen, aber lebendig!“ So vermisste sie ihn.
  4. 1947 starb sie, eine Erkältung und dann… Manetschka, die Kleinste, war erst vier. Die Mutter steckte ihr alles zu, aber es gab (fast) nichts. Ich klaute und machte jeden Unfug. Was blieb mir anders übrig? Hunger ist schlimm. Ich sah Szenen! 187 Rubel, und das Brot wurde auf Karten verkauft, 200 g pro Person. Auf dem Schwarzmarkt kostete ein Laib Brot 220 Rubel.
  5. Das war die Entschädigung für die Familie eines gefallenen Soldaten – weniger als ein Brot! Das ist die Wahrheit über diese Geschehnisse. Wir haben (damals) weder den Behörden noch Stalin die Schuld gegeben. Die Zeit war so, nach dem Krieg war alles zerstört. Die Presse (der Sowjetmacht) legte das zum eigenen Vorteil aus, und wir glaubten es.
  6. Wie schon gesagt, wir hungerten nicht, 187 Rubel reichten uns aber fürs Leben nicht aus. Ich musste etwas tun, helfen. Was tat ich da: Meine Mutter bekam Mehl von einem Mann. Wir hatten einen Trog. Damals gab es keine Hefe, aber mit etwas Sauerteig machten wir Natursauerteig, wir mischten Mehl und Wasser.
  7. Dann buken wir Brot in unserem Ofen. Ich weiß nicht, wie viel Geld (das brachte). Die Abrechnungen machte meine Mutter, ich war damals wohl um die 13. Unser Gewinn war vielleicht ein Stück Fladen oder ein Laib Brot.
  8. So versuchten wir zu überleben. Außerdem wohnte in der Nachbarschaft ein Mann, er arbeitete in der „Arbeiterversorgung“. Er gab uns Heringe und ich verkaufte sie auf dem Markt. So blieb uns mal ein Hering übrig. Und noch dazu: Die Gebäude waren durch Bomben zerstört.
  9. Da war ein Mann, dessen Namen ich nicht mehr weiß. Er kaufte Ziegel, ich schleppte die Steine und verkaufte sie für Kopeken. So verdiente ich etwas. Irgendwie so versuchten wir zu überleben. Wir verkauften natürlich alles, was wir hatten.