Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Meine Mutter wurde im Gouvernement Minsk geboren, in Sluzk, einer relativ großen Stadt. Sie war die Jüngste von sechs Kindern. Die Familie war ziemlich wohlhabend, ihr Vater war ein hervorragender Handwerker, er verarbeitete Leder. Sie war drei, als er plötzlich an Meningitis starb, genauso wie ein Sohn kurz danach.
  2. Die Mutter blieb alleine mit vielen Kindern. Meine Mutter wurde dann von dem ältesten Bruder großgezogen, der in einer Apotheke in Petrikowo arbeitete. Er war frisch verheiratet, hatte noch keine eigenen Kinder, und sie war wie eine Tochter für ihn.
  3. Später bekam er drei Kinder und sie half ihnen aus. Sie lebte dort bis sie 13 wurde. Ihre Mutter musste dann die Kinder irgendwie unterbringen. Sie verheiratete ihre schöne älteste Tochter Sara – keine Liebesheirat – mit einem reichen, harten, wenn nicht brutalen Mann aus Rogatschow.
  4. Aber er heiratete sie ohne Mitgift und nahm zwei ihrer jüngeren Geschwister, die Zwillinge, auf. So zog die ganze Familie meiner Mutter mit der Zeit nach Rogatschow. Als meine Mutter 13 war, hatte Sara schon viele kleine Kinder, fünf Söhne. Sie bat meine Mutter zu kommen und ihr zu helfen.
  5. Im Haus des ältesten Bruders war sie wie eine Tochter gewesen, sie hatte Hauslehrer und konnte sich bilden. Hier (in Rogatschow) konnte man nicht einmal daran denken. Sie besuchte die Bibliothek, wo Studenten kostenlosen Unterricht gaben. Einer von denen war mein Vater. 1910 haben sie geheiratet.