Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich gehe etwas zurück. Mein Vater ist 1921 von der Partei „Arbeiter Zions“ zur Kommunistischen Partei übergetreten. Er war 17 Jahre in der Partei „Arbeiter Zions“ gewesen. Warum tat er das, war er ein Mitläufer? Diese Frage beschäftigte mich sehr. Im ehemaligen Zentralen Parteiarchiv in Moskau fand ich seinen Lebenslauf, den er für die Aufnahme in die Partei verfasst hatte.
  2. Er schrieb da, er hätte die Oktoberrevolution missbilligt und mit großer Sorge die Leute betrachtet, die sich Bolschewisten nannten. Er hätte ihr taktisches Vorgehen missbilligt und sehr viele von denen wären ihm wie Trittbrettfahrer in der Sache der Revolution vorgekommen. Der Wendepunkt war für ihn die Revolution 1918/19 in Deutschland. Er glaubte an die Weltrevolution, diese Idee von Marx und Lenin.
  3. Noch in Weißrussland gründete er eine Vereinigung der Linken aus der Partei „Arbeiter Zions“ und dem „Bund“. Sie nannten sich Anhänger der kommunistischen Weltanschauung. Er kam dann nach Moskau und war mittendrin, unter Menschen mit romantischen Idealen aus dem ganzen Land. Das festigte seine neuen Überzeugungen. 1921 trat er der Kommunistischen Partei in Moskau bei. Seine Parteizugehörigkeit wurde sogar mit einem Jahr länger angegeben, seit 1920.
  4. Ich sage das auch deswegen, weil mein Bruder noch jüdische Traditionen in der Familie erlebt hatte, die Feste und das Hausjiddisch. Ich nicht mehr. Das war die Zeit der Internationale, zu Hause wurde bereits Russisch gesprochen. Und Jiddisch nur, wenn ich etwas nicht mitbekommen sollte.
  5. Mein Bruder verstand die Sprache, in seiner Anwesenheit sprach man kein Jiddisch. Es gab keine (religiösen) Feste: weder jüdische noch christliche. Ich durfte keinen Tannenbaum haben, obwohl ich sehr weinte: Andere Schüler hatten so ein Fest, ich aber nicht. Stattdessen wurde die gesellschaftliche Arbeit großgeschrieben.