Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. In Nowosibirsk habe ich geheiratet. In dieser Zeit, 1944, durften wir schon zurückkehren. Ich meldete mich für den Transport an. Mein Mann war für den Unterricht an der Berufsschule verantwortlich, sodass er nicht gleich weg konnte. Wir vereinbarten, dass ich als Erste fahre und er später nachkommt.
  2. Unserer Berufsschule wurde die Fahne des Staatlichen Verteidigungskomitees verliehen als der besten im Land. Uns folgte eine Moskauer Berufsschule auf dem Fuße. Ich fuhr nach Moskau, da es nach Leningrad noch keinen direkten Zug gab. Ich schrieb mich (dort) in der Warteschlange am Bahnhof ein, um einen Fahrschein nach Leningrad zu kaufen, und guckte mir die Berufsschule an.
  3. Ich sagte: „Ich bin von der 1. Berufsschule“ und zeigte meine Papiere. Sie empfingen mich herzlich und zeigten mir alles. Danach ging ich zum Bahnhof, wo mir die Tasche mit den Papieren gestohlen wurde. Das Hauptproblem war der Passierschein für Leningrad, ohne den die Einreise unmöglich war.
  4. Man sagte mir, ich würde zurück nach Nowosibirsk geschickt werden. Ich ging wieder zur Berufsschule und sagte: „Sie sind die einzigen, die meine Papiere gesehen haben…“ Sie sagten: „Gut, dann arbeiten Sie bei uns. Innerhalb eines Jahres erhalten Sie neue Papiere. Gehen Sie dann nach Leningrad, kein Problem, ein Jahr arbeiten Sie aber bei uns.“ Ich blieb in Moskau.
  5. Mitten im Schuljahr, wohl fast im Frühjahr, traf ich zufällig einen Professor der Leningrader Hochschule. Er war einer von denen, der sich meiner angenommen hatte. Er zog mich gleich aus dem Bus heraus und fragte, wie es mir gehe und ob ich studiere.
  6. Ich sagte: „Ich studiere nicht, weil meine Papiere geklaut wurden…“ – „Gut, wir fahren jetzt zur Pädagogischen Hochschule.“ Er ging dann zur Abteilung Fernstudium und sagte, er sei Professor Larin, würde nach Leningrad fahren und meine Unterlagen hierherschicken. Sie sollten mich zum Studium zulassen.
  7. Sie sagten: „Hören Sie mal, das Studienjahr endet gerade…“ – „Na und? Sie wird alles bestehen.“ Ich bestand alle Prüfungen für dieses Jahr und auch für das nächste und machte 1945 den Hochschulabschluss.
  8. Als nächstes kam Leningrad. Ich kam, als das Schuljahr schon längst begonnen hatte. Zunächst arbeitete ich in der Zeitung „Leninskije Iskry“, in der Leserbriefe-Abteilung. Später kam ein Redakteur, der offener Antisemit war, und schon war ich nicht mehr bei der Zeitung.
  9. Danach arbeitete ich im Palast der Pioniere. Später bekam ich einen Sohn, ich und mein Mann kamen in der Zeit wieder zusammen. Ich arbeitete noch im Kindergarten. In der Schule, wo ich selbst Schülerin gewesen war, gab es eine freie Stelle.
  10. Ich bekam einen Anruf, von der Schule, der ich eigentlich alles verdanke – und ich ging gleich hin. Ich war bereits Verantwortliche für den Unterricht in einem Kinderheim, ich konnte da mein Kind im Sommer auf die Datscha schicken. Trotzdem ging ich an meine (alte) Schule.