Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Mein Vater war vor der Revolution mit der Tochter der Gutsbesitzerin Baraban verheiratet. Sie war Jüdin und besaß einen oder zwei Teiche im jüdischen Ort Chodorkow im Gouvernement Kiew. In den Teichen wurden Karpfen gezüchtet. Sie wurden zum Verkauf in die Städte in der Umgebung von Chodorkow gebracht – nach Kiew, Fastow, Popelnja usw.
  2. Sie war sehr reich. Mein Vater erzählte aber, sie sei eine sehr giftige und geizige alte Frau gewesen. Ihre Arbeiter mochten sie nicht. Und meinen Vater mochten und achteten sie. Denn wenn sie nicht zu Hause war, verteilte er Fisch unter den armen Leuten.
  3. Außerdem arbeitete mein Vater vor der Revolution als Gerichtsschreiber. Die Schriftführung war damals auf Ukrainisch, mein Vater beherrschte Ukrainisch, Russisch, Jiddisch und Hebräisch. Alle seine Brüder lernten seinerzeit im Cheder, einer religiösen jüdischen Schule. So kannten sie alle die Gebete und konnten Hebräisch.
  4. Während der Revolution trat mein Vater der Bürgermiliz in Chodorkow bei, um den Ort zu schützen. Damals waren viele Banden unterwegs und die Juden litten unter ihnen am meisten. Wohl 1919 wurde seine erste Frau… Meine Mama war seine zweite Frau. Seine erste Frau wurde von den Petljura-Leuten getötet.
  5. Sie erstachen sie mit einem Bajonett, als sie über die Straße nach Hause lief. Sie erstachen sie schon an der Haustür. Als die Banditen durch den Ort zogen, kamen sie nicht (mehr) ins Haus. Man dachte: „Da liegt eine Tote, drinnen sind auch alle tot.“ Davon erzählte mir mein Papa. Nach dem Mord an seiner Frau wollte er den Ort verlassen.
  6. Mein Papa erzählte mir noch eine Episode: Er ging einmal über die Brücke nach Hause, vorher war er wohl bei der Bürgermiliz gewesen. Eine Petljura-Bande brach gerade durch die Bewachung durch. Sie trafen meinen Vater auf der Brücke und schlugen auf ihn mit Gewehrkolben ein. Sie schlugen (ihn), bis er bewusstlos wurde. Danach warfen sie ihn von der Brücke herunter.
  7. Da floss ein Bach, der Vater kam so zu sich. Sein Nachbar, der Pope, las ihn auf. Seitdem war der Papa schwerhörig auf einem Ohr. Weiter war es so: Den Ort nahmen mal die Banditen, mal die Roten ein. Wenn die Roten kamen, versteckte sich der Pope bei meinem Papa.
  8. Und zwar im Ofen, damals waren die Öfen groß und mit einer Klappe. Meine Eltern buken da das Brot. Der Pope versteckte sich in seinem Ofen. Papa lachte, als er mir davon erzählte. Ich lache auch, wenn ich es weiter erzähle.
  9. Papa öffnete die Ofenklappe, um nachzuschauen, ob der (Pope) noch atmet. Der brüllte aus dem Ofen: „Shid, der Hut!“ Er versteckte sich bei ihm und verlangte: „Shid, nimm den Hut ab!“ Wenn Papa das erzählte, lachten wir uns alle kaputt.
  10. . Er sagte: „Er war in meinen Händen und verlangte von mir, den Hut abzunehmen!“ Denn alle mussten draußen vor ihm den Hut abnehmen – Russen, Ukrainer und Juden. So eine Episode erzählte mein Papa, sie kommt in meinem Buch vor.