Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Tatsächlich war die Zeit „fies und mies“, wie der unvergessliche Rajkin sagte. Erstens herrschte Armut. Unsere Theaterbesuche blieben mir auch deswegen in Erinnerung, weil Allotschka sich für die Freikarten revanchierte. Sie kaufte mir ein Stück Kuchen und Limonade am Buffet. Ich war immer total hin- und hergerissen, weil ich eine Wahl treffen musste.
  2. Zweitens... Wir Kinder verstanden es damals nicht, aber es begann die Kampagne gegen „wurzellose Kosmopoliten“. Ich konnte nicht verstehen, warum mein Stiefvater Odessa verlassen musste, warum er auf Sachalin anheuern musste, nachdem die Japaner da rausgeworfen wurden. 1950 war er schon da. Meine Mutter und ich kamen 1952 nach. Wir fuhren so wie Tschechow dahin, bis ans Ende der Welt. Der Stiefvater holte uns dahin.
  3. So war die Zeit, bis der „Schnurrbärtige“ 1953 verreckte. Aber auch auf Sachalin waren wir nicht sicher. Meine Mutter hatte einen Vertrag, sie arbeitete im Hafen. Und dann wird ihr gekündigt. Gleichzeitig wird in der Zeitung behauptet, dass zu viele Leute aus Odessa da seien, das Wort „Shidy“ wurde nicht gedruckt.
  4. Und tatsächlich waren viele Juden da, weil sie keine Wahl hatten. Sie waren erfahren, kompetent und konnten die Arbeit voranbringen. Mein Stiefvater war lange Jahre Leiter des Güterverkehrs im Hafen. Sewa Barto-Skljarenko war Leiter des Personenverkehrs.
  5. Sie alle waren aus Odessa, sicher. Mein Vater musste dann 1953 den Vertrag verlängern. Das wurde ihm aber verweigert. Was sollten wir dann machen? Wir hatten ja nichts.
  6. Mein Stiefvater war, wie schon gesagt, kein Versorger. In der ersten Zeit konnte er nicht einmal ein Zimmer für uns organisieren. Wir schliefen zwei Monate auf dem Boden im Haus eines Lastträgers. Er hieß Makarow, war auch aus Odessa, allerdings ein Säufer. Seine Frau Nina war eine sehr gutmütige Frau.
  7. Auf Sachalin wurden Fachleute gesucht. Und mein Stiefvater wurde dann vom Ministerium... Er war übrigens ein „Verdienter Mitarbeiter der Seefahrt“, das ist eine sehr seltene Auszeichnung.
  8. Sie wurde ihm bereits 1942 während der Krieges verliehen. Ihm wurde angeboten: „Ionkis, geh nach Sachalin!“ Und er ging dahin. Er tat immer, was ihm gesagt wurde.