Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Das Leben ist nicht stehen geblieben, die Sowjetunion zerfiel. Zunächst nahmen wir das nicht ernst. Und unsere Wahrnehmung war anders als die im Westen. Wir waren an dieses Leben gewöhnt, wir lebten in innerer Opposition. Gleichzeitig haben wir den Durchblick behalten. Wir wussten, wer gemein sein kann, wo wir lieber schweigen sollen und wo wir etwas sagen oder etwas verlangen dürfen.
  2. Für meine Mitarbeiter konnte ich alles durchsetzen: Sie alle promovierten und waren Dozenten. Allerdings gingen sie später weg: eine ist in den USA, die andere in Israel. Andere zogen nach Russland. Auf jeden Fall konnte ich viel durchsetzen, ich schickte sie zu Konferenzen, und der Rektor unterstützte mich dabei.
  3. Für mich persönlich verlangte ich nicht viel. Aber ich war jedes Jahr in Moskau und nahm an Konferenzen teil. Ich war Mitglied des wissenschaftlichen Rats beim Unionsministerium. Und nun ging das alles zu Bruch. Meine Bücher erschienen z.B. bei einem Moskauer Verlag.
  4. Zunächst schrieb ich ein Buch über Balzac, dann wollten sie noch ein Buch über Mark Twain haben. Alles war so wie unter Freunden geregelt, es gab nicht einmal einen Vertrag. Und nun bricht alles zusammen, nur mit großen Schwierigkeiten konnte ich das Manuskript über Mark Twain retten. Das Buch finanzierte ich selbst bereits in Deutschland, nachdem ich Geld zusammengespart hatte.
  5. Alles war in Auflösung. Und auf den Ratssitzungen sprach man nur Rumänisch, ich beherrschte diese Sprache aber nicht. Vielleicht hätte ich sie in früheren Jahren lernen sollen, aber das wurde nicht verlangt. Im Gegenteil, alle Moldauer lernten Russisch, sie studierten in Moskau.
  6. Und nun war alles anders. Ich dachte: „Warum soll ich die fremde rumänische Sprache lernen? Ich kann ja nach Deutschland gehen, da werde ich die Sprache meines Vaters lernen. Diese Sprache liegt mir mehr, ich bin mit ihr blutsverwandt.“