Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Was soll ich sagen? Ich bin seit zwölf Jahren in Deutschland, das ist viel. Ich bin 72 Jahre alt. Das ist ein langer Lebensabschnitt.
  2. Alles in allem führe ich ein normales Leben. Ich fühle mich frei, absolut. Ich habe keine Probleme irgendwohin zu gehen. Und ich bin so frech, dass ich überall mit meinem Deutsch etwas erzähle, ohne Dolmetscher. Ich freue mich, dass meine Kinder hier einen Platz gefunden haben.
  3. Ich weiß, die Muttersprache meiner Enkelinnen ist schon Deutsch, obwohl sie Russisch gut können. Die Kinder arbeiten: Die Tochter ist Anästhesistin, ihr Mann Chirurg in Gladbeck. Das Leben ist normal. Ich bin von hier aus nach Amerika und Finnland gereist, war in Frankreich bei Verwandten.
  4. Neulich war ich in der Schweiz und in Schweden. D.h., ich bin ein freier Mensch und kann weltweit reisen. Nur das Eine ist problematisch. Erstens: Wir haben keine Anerkennung bekommen. Das ist ein sehr ernsthaftes Problem. Das bedeutet eigentlich nur moralische (Genugtuung).
  5. Zweitens gibt es weitere Einschränkungen. Mich betrifft das nicht, aber andere: Wahl des Wohnortes und Reisen. Gott sei Dank, wir in Bochum haben relativ gute Beziehungen zu den Sozialämtern. Und in einigen Städten ist es so: Einer fährt für drei oder vier Wochen in die Heimat, wo die Gräber sind…
  6. Er wird dann gequält, das ist bekannt. Auch in Köln und Bonn gab es solche Vorfälle. Das ist nicht richtig. Und weiter: Wir sind hierher gekommen nach den gesetzlichen Bestimmungen. Jedoch gibt es keine Vereinbarungen mit der ehemaligen Sowjetunion über soziale Versorgung.
  7. Wer als Aussiedler kommt, bekommt die Arbeitsjahre anerkannt. Und ich habe 37 Jahre in Weißrussland gearbeitet und insgesamt mit dem Studium 47. Ich bekomme keine Kopeke von Weißrussland und auch nicht von Deutschland. Wir alle beziehen die Grundsicherung, das ist zu wenig zum Leben.
  8. Und das ist immerhin irgendwie erniedrigend. Ich werde jedem Obdachlosen gleichgestellt, der legal oder illegal aus Afrika oder einem anderen Land nach Deutschland gekommen ist. Solche Leute leben in unserer Nachbarschaft. D.h. das ist ein Problem, die Leute meiner Generation oder die älteren fühlen sich hier fehl am Platze. Das ist sehr traurig.
  9. Die Kinder haben es hier nicht schlecht, unsere Kinder haben Perspektiven. Meine Tochter hat in unserer Jüdischen Gemeinde geforscht: 90 Prozent der Kinder gehen aufs Gymnasium.
  10. Ja, es gibt Probleme wie in jedem Land, persönliche und allgemeine. Insgesamt ist es aber nicht schlecht. Schlecht sieht es aus bei den Lehrern, sie wissen wenig über den Holocaust.