Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Mein Bruder leistete Militärdienst, er war der Jüngste in der Familie. Sein zweites Dienstjahr war beinahe zu Ende, und wir erwarteten sehr seine Rückkehr. Stattdessen erhielten wir einen sehr traurigen Brief von ihm. Er schrieb: „Heute oder morgen wird der Krieg ausbrechen, und das ist wohl mein letzter Brief.“ So kam es auch.
  2. Wir wussten damals vom Krieg noch nicht, davon wurde nicht einmal gesprochen. Wir wussten, dass Frieden mit Deutschland geschlossen worden war, und vom Krieg keine Rede. Trotzdem kam der Krieg immer näher, er wurde vorbereitet und der Bruder hat alles richtig geschrieben. Kurz danach brach der Krieg aus, am 22. Juni 1941. Einige Tage später begannen die Luftangriffe auf Odessa.
  3. Odessa wurde bombardiert, es war beängstigend. Wir versteckten uns in den Katakomben. Ich habe schon davon erzählt, dass zwei Schwestern von mir in Moskau lebten; mein Bruder war in der Armee, sein zweites Jahr ging zu Ende. Ich blieb bei meinen Eltern und hatte gerade vor zu heiraten. Aber bereits in den ersten Kriegstagen ging mein Mann an die Front.
  4. Die Frontlinie bewegte sich unglaublich schnell, und er war bei der Verteidigung von Odessa im Einsatz. Er wurde verwundet und zusammen mit dem Hospital verlegt. Dann begann die Evakuierung. Wir wollten auch evakuiert werden. Ich arbeitete als Buchhalterin in einem Werk. Wir erhielten da Scheine für die Evakuierung auf dem Schiff „Lenin“. Wir kamen direkt aus den Katakomben dahin: Lkws fuhren vor, um alle Evakuierungswilligen in den Hafen zu bringen. Wir stiegen auf einen Lkw auf und kamen in den Hafen.
  5. Der Hafen wurde schrecklich bombardiert, zum Schiff zu kommen war schlicht unmöglich. Da war eine Unmenge von Leuten. Und wir mussten zurückkehren, wir schafften es nicht, auf das Schiff zu kommen. Wir kehrten in unsere Katakomben zurück, natürlich traurig und enttäuscht. Wir wohnten die ganze Zeit in diesen Katakomben, denn Tag und Nacht gab es Luftangriffe. Jeder hatte etwas mitgenommen und so hielten wir uns da auf.
  6. Wir blieben in Odessa stecken, das belagert war. Die letzten Truppen wurden über das Meer abtransportiert. Es war beängstigend, es wurden Flugblätter abgeworfen… Da zu bleiben war sehr beängstigend, es ergab sich aber so.
  7. Das Schiff „Lenin“, auf das wir es nicht geschafft hatten, sank bald nach der Abfahrt. Es geriet unter Bombardements und ging unter. Dabei kamen über 2.000 Menschen ums Leben. Nur einige gute Schwimmer konnten sich retten, manche klammerten sich an einem Brett fest und kamen ans Ufer. Aber wirklich nur wenige. Später erzählten sie, wie sie überlebten.