Julia Shenkman, geb. Smirnowa, wurde am 10. April 1935 geboren, ihr Mann Moisey Shenkman am 9. Dezember 1938, beide in Leningrad. Julia Shenkman stammt aus einer nichtjüdischen Familie. Ihre beiden Großväter waren als angebliche „Volksfeinde“ Opfer der stalinistischen Verfolgung: Der Agronom Wassilij Smirnow wurde 1933 verhaftet und erst nach 20 Jahren Lagerhaft entlassen. Der Deutschrusse Alexander Treier, Direktor einer Papierfabrik in Leningrad, wurde 1946 unter ungeklärten Umständen in Moskau erschossen.
Julias Mutter Ljudmila Treier (1915–2001) besuchte in Moskau eine deutsche Schule und studierte in Leningrad am Technikum für Bauwesen, danach arbeitete sie beim staatlichen Betrieb für Straßenbau. Ihr Mann Sergej Smirnow (1914–1991) studierte am Lesgaft-Institut für Körperkultur. 1935 kam die gemeinsame Tochter Julia zur Welt. Bei Kriegsausbruch 1941 wurde der Vater sofort eingezogen. Auch die Mutter wurde dienstverpflichtet, sie war für die Reparatur der Leningrader Straßen nach Bombenangriffen verantwortlich.
Da die Mutter während des Krieges fast nie zu Hause war, kümmerte sich die Großmutter mütterlicherseits um die kleine Julia. Bis heute erinnert sich Frau Shenkman deutlich an die Blockadezeit – an Hunger, Kälte und tote Menschen und an die Angst, dass die Oma nicht mehr nach Hause kommt.
1943 erhielt der Vater die Erlaubnis, Frau und Tochter nach Kostroma evakuieren zu lassen, wo er in der Artillerieschule stationiert war. Da Ljudmila Treier nicht aus Leningrad weg durfte, verließ Julia zusammen mit ihrer Großmutter die eingeschlossene Stadt. Wenige Tage nach der Ankunft in Kostroma wurde der Vater an die Front geschickt. Um zu überleben, nähte die Großmutter Pantoffeln, Julia half in der Küche der Militäreinheit. Im September 1943 wurde sie in Kostroma eingeschult. 1944 konnten beide nach Leningrad zurückkehren.
Julia Smirnowa studierte an der Fakultät für Straßenbau der Leningrader Hochschule für Bauingenieurwesen und arbeitete wie ihre Mutter beim staatlichen Betrieb für Straßenbau, später bis zu ihrer Pensionierung 1990 bei der städtischen Verwaltung für Straßen- und Brückenbau. Sie gründete eine Familie und bekam zwei Kinder. 1988 heiratete sie in zweiter Ehe Moisey (Mischa) Shenkman, der einen Sohn aus erster Ehe hat.
Moisey Solomonowitsch Shenkman stammt aus einer jüdischen Familie. Seine Mutter, Bella Iljinitschna Trojnowskaja (1905–1990), war Ärztin, sein Vater, Solomon Michajlowitsch Shenkman (1903–1943), Chemieingenieur. In Anlehnung an den bolschewistischen Revolutionär Moisey Solomonowitsch Urizkij (1873–1918) gaben sie ihrem zweiten Sohn einen prononciert jüdischen Namen, was in den 1930er-Jahren aufgrund des staatlichen Antisemitismus sehr unüblich war.
Der Betrieb, in dem der Vater arbeitete, wurde nach Kriegsausbruch in den Ural evakuiert; auf diesem Weg konnte die vierköpfige Familie Leningrad vor Beginn der Blockade verlassen. Kurze Zeit später wurde Solomon Shenkman eingezogen, 1943 ist er gefallen.
Herr Shenkman studierte wie seine Mutter Medizin. Nach dem Studium arbeitete er einige Jahre in Kostroma, dann in Leningrad als Neuropathologe, Psychiater und Notarzt. Immer wieder erfuhr er Diskriminierungen aufgrund seiner jüdischen Herkunft. Wie er selbst sagt, schämte er sich nie, Jude zu sein, ist aber nicht religiös und hatte in Leningrad keine Verbindung zur Jüdischen Gemeinde. Dies hat sich in Deutschland geändert – auf Initiative seiner Frau.
1995 beschloss das Ehepaar Shenkman, nach Deutschland auszuwandern und ließ sich in Ratingen nieder. Mit diesem Entschluss sind die Ehepartner bis heute zufrieden, da ihr Leben hier erfüllter sei als in Russland. Beide sind vielfältig engagiert. Frau Shenkman nutzt viele Angebote in der Jüdischen Gemeinde, sie singt im Chor, malt und tanzt und hat in Deutschland begonnen, Gedichte, Romane und ihre Erinnerungen zu schreiben. Herr Shenkman beschäftigt sich u.a. mit Parapsychologie, er schreibt populärwissenschaftliche Essays, Artikel und Gedichte und hält zusammen mit seiner Frau Vorträge.