Von Nelli Notik gefertigter Stammbaum der Familie Kazanovich–Notik, in der Mitte Leonid und seine Frau Nelli (Ausschnitt)
Leonids Vater Boris mit seiner Frau Lisa (Jelisaweta) (links) sowie seinem Bruder Simeon und dessen Gattin, ca. 1950
Bescheinigung des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR zur Rehabilitierung des während des Stalinismus ermordeten Vaters von Nelli Notik, Wladimir Notik, 1956
Bescheinigung des Kiewer Militärtribunals über die Rehabilitation von Jekaterina Finkel, der unter Stalin verfolgten Mutter Nelli Notiks, 1958
Erklärung von Jekaterina Finkel an den Militärstaatsanwalt des Kiewer Militärbezirkes mit der Bitte, eine Revision des Verfahrens ihres Mannes einzuleiten
Leonid (untere Reihe, 3. von links) mit anderen Absolventen und Lehrkräften seines Studiengangs in Charkow, Mitte der 1950er-Jahre
Leonid Kazanovich als Schlosser (Bildmitte) bei einer Aufführung der „Agitationsbrigade“ des Charkower Turbinenwerks, 1958
Nelli Notik als Zeichnerin im Turbinenwerk in Charkow, wo sie später bis zur Ingenieurin aufstieg – aus einem Fotoalbum
Leonid Kazanovich und Nelli Notik bei einem gemeinsamen Bühnenauftritt Ende der 1950er-Jahre – Ausschnitt aus einem Fotoalbum
Nelli Notik als Schauspielerin einer Laientheatergruppe in den 1960er-Jahren, mit dem einmontierten Kopf ihres Mannes Leonid.
Leonids Mutter Jelisaweta (3. von links) zusammen mit ihren Geschwistern Fanja (geb. 1903), Jakow (geb. 1911) und Grigorij (links, 1913–2011), 1960er-Jahre
Leonid Kazanovich, Nelli Notik, ihre gemeinsame Tochter Irina und deren Söhne während eines Besuches in Charkow 2005
Leonid Kazanovich und Nelli Notik (links) beim Treffen mit Angehörigen ihres früheren Studentenchors in Charkow
Leonid und Nelli 2006 in der neu errichteten Marburger Synagoge, deren Bau maßgeblich durch einen Freund gefördert wurde
Leonid Kazanovich und Nelli Notik während eines Gesangsauftrittes von „Kazanotik“ in der Dortmunder Gemeinde, April 2005
Leonid Kazanovich wurde am 20. Juli 1931 im ukrainischen Charkow geboren. Seine Mutter Jelisaweta Kazanovich (1901–2005), Tochter eines Müllers aus dem Tschernigower Gebiet, wählte den Beruf der Ärztin und kam während des Medizinstudiums in den 1920er-Jahren nach Charkow. Dort traf sie Leonids Vater Boris (1897–1956). Er war Sohn eines Ladenbesitzers aus Lochwizy im Gebiet Poltawa und wurde nach einem Studium am Charkower Technologischen Institut Ingenieur.
In der Generation der Großeltern spielten jüdischer Glaube und jiddische Sprache noch eine gewisse Rolle. Leonids Eltern waren jedoch nicht religiös. Vor dem Hintergrund der Sowjetgesellschaft hatten sie ihre jüdischen Vornamen abgelegt und durch russische ersetzt.
Während des Zweiten Weltkrieges konnten die Kazanovichs mit Glück den deutschen Bombardements entkommen. Leonids Vater, der in einem Institut für feuerfeste Stoffe arbeitete, musste nicht zur Armee, aber als Spezialist zunächst in Charkow bleiben. Dagegen wurden Jelisaweta, Leonid, seine Schwester Maja, eine Tante und Großmutter rasch nach Swerdlowsk (Jekaterinenburg) evakuiert. Ein Onkel und die Großeltern väterlicherseits konnten knapp der Gefangennahme durch die Deutschen entgehen; Leonids Großvater starb jedoch während der Flucht.
1944 kehrte die Familie aus der Evakuierung nach Charkow zurück. Ab 1949 studierte Leonid am dortigen Polytechnischen Institut, wo er erstmals persönlich mit Antisemitismus konfrontiert war. 1954 schloss er das Studium der Turbinentechnik ab. Nach zweijähriger Tätigkeit in Nikolajew erhielt er 1956 eine Stelle in einem Turbinenwerk in Charkow. Dort lernte er die 1927 geborene Nelli (Nellja) Notik kennen, die er 1959 heiratete.
Nelli Notiks Eltern waren überzeugte Kommunisten; die Mutter hatte als Rotarmistin in der Revolution gekämpft, der Vater als Parteifunktionär in Kiew gewirkt. 1937 wurde er jedoch wegen eines angeblichen Komplotts gegen Stalin als „Volksfeind“ verhaftet, verschleppt und wenig später erschossen, Nellis Mutter Jekaterina aus der Partei ausgeschlossen und mit Deportation bedroht. Sie verließ die Stadt und ging mit ihren beiden Kindern nach Charkow. 1941 kamen sie per Evakuierung ebenfalls nach Swerdlowsk. Dort begann die 14-jährige Nelli in einer Turbinenfabrik zu arbeiten. Nach der Befreiung kehrte sie mit dem Werk nach Charkow zurück und machte dort schließlich als Ingenieurin Karriere.
Leonid Kazanovich wechselte 1961 an das Forschungs- und Entwicklungsinstitut „Giprostal“ in Charkow, wo er eine wissenschaftliche Karriere und eine Promotion ins Auge fasste. Da ihm dies aufgrund seiner Herkunft in der Ukraine nicht möglich war, erarbeitete er seine Dissertation im russischen Gorkij (Nischnij Nowgorod), wo er 1969 promoviert wurde. 1974 erhielt Herr Kazanovich mit Unterstützung von Freunden eine verantwortungsvolle Position in einem Trust für mobile Kraftwerke. Ende der 1970er-Jahre zog er mit seiner Frau nach Saporoshje, wo sich eine Niederlassung des Trusts befand. Erst mit der Rente 1992 kehrte das Ehepaar wieder nach Charkow zurück.
Bereits 1990 wanderte der Sohn Wladimir nach Israel aus, Leonids Schwester, ihre Kinder und die Mutter folgten wenige Jahre später; Freunde gingen nach Deutschland und die USA. Weil sich der Plan, in Amerika unterzukommen, zerschlug, ging Herr Kazanovich mit seiner Frau 1996 nach Deutschland. Ihr Wunsch, dass ihre Tochter nachkomme, ging jedoch nicht in Erfüllung, auch wegen der ungewissen Aussichten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Irina blieb in Charkow, wo sie 2008 völlig unerwartet verstarb.
Nachdem bereits Bekannte dort wohnten, wählten Leonid Kazanovich und Nelli Notik Dortmund als Wohnort. Am Gemeindeleben haben sie – soweit es gesundheitlich möglich war – teilgenommen. Besonders wichtig war dabei die Laienkunst, der sich Leonid Kazanovich seit seiner Schulzeit widmet. Er ist seit etlichen Jahren im Chor der Synagogengemeinde und hat zusammen mit seiner Frau zahlreiche Auftritte absolviert.