Bellas Großvater Abram Sterngarz (vorne rechts) mit Vater Boris Sterngarz (vorne links) und Tante Sofija Trawizkaja mit ihrem Mann Naum Trawizkij, der wie Bellas Vater an der Front gefallen ist
Die Eltern Boris und Riwa Sterngarz mit den Kindern Jefim und Bella, 1938. Dieses Foto wurde von dem Bauer aufbewahrt, der den im Krieg gefallenen Boris Sterngarz begraben hat.
Letzter Brief des Vaters (Umschlag). Der Brief wurde von Krementschug aus verschickt, wo die Einheit von Boris Sterngarz stand. Adressiert ist er an die Familie von Bellas Tante in Charkow, wohin der Vater Frau und Kinder hatte evakuieren lassen.
Gefallenenbenachrichtigung an Riwa Sterngarz über den Tod von Bellas Vater Boris im September 1941, ausgestellt vom Kriegskommissariat in Krementschug 1946
Ausweis, den der Vater, Boris Sterngarz, bei sich hatte, als er während des Zweiten Weltkrieges fiel. Das Dokument wurde der Familie nach dem Krieg ausgehändigt.
Zeitungsartikel aus der Evakuierung in den 1940er-Jahren. Das Bild zeigt Kinder im Kindergarten Nr. 5 bei der staatlichen Nähfabrik in Frunse
Bescheinigung über einen betrieblichen Rationalisierungsvorschlag von Bella Schneidermann, 1980er-Jahre
Diplom für Bella Schneidermann, ausgestellt für besondere „Leistungen in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Ukrainischen SSR“, 1980
Bella Schneidermann (Shneyderman) geborene Sterngarz kam im August 1935 in der ukrainischen Stadt Krementschug als zweites Kind eines Lehrers und seiner Frau zur Welt. Wie sie später durch Erzählungen erfuhr, stammten ihre Eltern aus gläubigen Familien. Viele ihrer Vorfahren lernte sie aber nicht mehr kennen – so wurde die Mutter früh Waise, ein Onkel und eine Oma starben in den Revolutionswirren oder an Krankheit, ein Großvater wanderte nach Palästina aus.
Mit Kriegsbeginn 1941 wurde Bella von ihrem Vater getrennt, der wegen seines Alters zwar nicht zur Armee eingezogen, aber zum „Volksaufgebot“ verpflichtet wurde. Bella, ihr 1927 geborener Bruder Jefim und die Mutter wurden per LKW und Eisenbahn nach Charkow geschafft, wo sie bei Verwandten unterkamen. Als auch Charkow unter die Angriffe deutscher Truppen geriet, flüchteten sie weiter über Taschkent ins usbekische Dschisak (Jizzax). Schließlich reiste die Mutter mit den Kindern ins kirgisische Frunse, wo eine ebenfalls evakuierte Tante arbeitete.
Aus der Kriegszeit haben sich bei Bella Schneidermann viele Erinnerungen eingeprägt: an Bombenangriffe und schwere Erkrankungen, schlechte hygienische Verhältnisse und Essensmangel. Während Bella in der Evakuierung eingeschult wurde, musste ihr Bruder schwere Arbeit leisten und noch vor Kriegsende zum Armeedienst antreten. Er kehrte jedoch zurück, anders als Bellas Vater, der – wie die Familie später in Erfahrung bringen konnte – bereits im September 1941 bei Kämpfen ums Leben gekommen war.
1945 zog Bella mit ihrer Mutter von Kirgisien zurück nach Charkow, wo sie die Schule besuchte. Den Plan, wie ihr Vater Lehrer zu werden, musste sie bald fallen lassen. Sie studierte an einem Polytechnischen Institut und machte als Chemikerin Karriere. 1958 lernte sie ihren ersten Mann kennen, der jedoch nach wenigen Ehejahren überraschend verstarb. Bella musste die gemeinsame Tochter Olga allein, mit Unterstützung ihrer Mutter aufziehen.
In den 1980er-Jahren heiratete sie Iossif Punkin, einen früheren Bekannten aus der Studienzeit. Er entstammte einer angesehenen Charkower Familie, die nach Beginn des Zweiten Weltkrieges nicht die Stadt verlassen hatte und ghettoisiert worden war. Iossifs Vater organisierte die Flucht der Familie aus dem Ghetto und fand Helfer, bei denen sie untertauchen konnte. Nachdem ihn ein früherer Mitarbeiter verraten hatte, wurde er jedoch gefangen genommen und ermordet. Iossif, seinem Bruder Wladimir und der Mutter gelang es, aus Charkow zu fliehen. Sie schlugen sich mit gefälschten Papieren bis in den Kaukasus durch, wo sie die Befreiung erlebten.
Anfang der 1990er-Jahre entschlossen sich Iossif Punkin und Bella Schneidermann, die Ukraine zu verlassen. Anlass dafür waren die dortige Lebenssituation, eine gewisse Neugier auf die deutsche Gesellschaft, vor allem aber, dass Bellas Tochter Olga bereits nach Israel ausgewandert war. Zwar kam Olga mit den Enkel(inne)n nach einigen Jahren auch nach Deutschland. Frau Schneidermann verlor hier jedoch ihren Mann 2007 nach schwerer Krankheit.
Engagement für andere ist Bella Schneidermann wichtig. An ihrem neuen Wohnort Dortmund kümmerte sie sich nicht nur um ihren ebenfalls in Deutschland lebenden Bruder, sondern versuchte auch anderweitig zu helfen. Sie war Zuwanderern bei Sprachproblemen behilflich, unterstützte Mitglieder der Jüdischen Gemeinde bei Behördengängen und Arztbesuchen und engagierte sich im Verein ZWAR: „Zwischen Arbeit und Ruhestand“. Seit kurzer Zeit lebt sie bei Hannover, in der Nähe ihrer Tochter, der Enkelkinder und Urenkel.