Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия

Bella Schneidermann

Bella Schneidermann (Shneyderman) geborene Sterngarz kam im August 1935 in der ukrainischen Stadt Krementschug als zweites Kind eines Lehrers und seiner Frau zur Welt. Wie sie später durch Erzählungen erfuhr, stammten ihre Eltern aus gläubigen Familien. Viele ihrer Vorfahren lernte sie aber nicht mehr kennen – so wurde die Mutter früh Waise, ein Onkel und eine Oma starben in den Revolutionswirren oder an Krankheit, ein Großvater wanderte nach Palästina aus.
Mit Kriegsbeginn 1941 wurde Bella von ihrem Vater getrennt, der wegen seines Alters zwar nicht zur Armee eingezogen, aber zum „Volksaufgebot“ verpflichtet wurde. Bella, ihr 1927 geborener Bruder Jefim und die Mutter wurden per LKW und Eisenbahn nach Charkow geschafft, wo sie bei Verwandten unterkamen. Als auch Charkow unter die Angriffe deutscher Truppen geriet, flüchteten sie weiter über Taschkent ins usbekische Dschisak (Jizzax). Schließlich reiste die Mutter mit den Kindern ins kirgisische Frunse, wo eine ebenfalls evakuierte Tante arbeitete.
Aus der Kriegszeit haben sich bei Bella Schneidermann viele Erinnerungen eingeprägt: an Bombenangriffe und schwere Erkrankungen, schlechte hygienische Verhältnisse und Essensmangel. Während Bella in der Evakuierung eingeschult wurde, musste ihr Bruder schwere Arbeit leisten und noch vor Kriegsende zum Armeedienst antreten. Er kehrte jedoch zurück, anders als Bellas Vater, der – wie die Familie später in Erfahrung bringen konnte – bereits im September 1941 bei Kämpfen ums Leben gekommen war.
1945 zog Bella mit ihrer Mutter von Kirgisien zurück nach Charkow, wo sie die Schule besuchte. Den Plan, wie ihr Vater Lehrer zu werden, musste sie bald fallen lassen. Sie studierte an einem Polytechnischen Institut und machte als Chemikerin Karriere. 1958 lernte sie ihren ersten Mann kennen, der jedoch nach wenigen Ehejahren überraschend verstarb. Bella musste die gemeinsame Tochter Olga allein, mit Unterstützung ihrer Mutter aufziehen.
In den 1980er-Jahren heiratete sie Iossif Punkin, einen früheren Bekannten aus der Studienzeit. Er entstammte einer angesehenen Charkower Familie, die nach Beginn des Zweiten Weltkrieges nicht die Stadt verlassen hatte und ghettoisiert worden war. Iossifs Vater organisierte die Flucht der Familie aus dem Ghetto und fand Helfer, bei denen sie untertauchen konnte. Nachdem ihn ein früherer Mitarbeiter verraten hatte, wurde er jedoch gefangen genommen und ermordet. Iossif, seinem Bruder Wladimir und der Mutter gelang es, aus Charkow zu fliehen. Sie schlugen sich mit gefälschten Papieren bis in den Kaukasus durch, wo sie die Befreiung erlebten.
Anfang der 1990er-Jahre entschlossen sich Iossif Punkin und Bella Schneidermann, die Ukraine zu verlassen. Anlass dafür waren die dortige Lebenssituation, eine gewisse Neugier auf die deutsche Gesellschaft, vor allem aber, dass Bellas Tochter Olga bereits nach Israel ausgewandert war. Zwar kam Olga mit den Enkel(inne)n nach einigen Jahren auch nach Deutschland. Frau Schneidermann verlor hier jedoch ihren Mann 2007 nach schwerer Krankheit.
Engagement für andere ist Bella Schneidermann wichtig. An ihrem neuen Wohnort Dortmund kümmerte sie sich nicht nur um ihren ebenfalls in Deutschland lebenden Bruder, sondern versuchte auch anderweitig zu helfen. Sie war Zuwanderern bei Sprachproblemen behilflich, unterstützte Mitglieder der Jüdischen Gemeinde bei Behördengängen und Arztbesuchen und engagierte sich im Verein ZWAR: „Zwischen Arbeit und Ruhestand“. Seit kurzer Zeit lebt sie bei Hannover, in der Nähe ihrer Tochter, der Enkelkinder und Urenkel.