Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Nach dem Bürgerkrieg arbeitete mein Vater an verschiedenen Stellen. D.h., wir wohnten in mehreren ukrainischen Städten. Denn er arbeitete im Auftrag der Partei, wohin man ihn gerade schickte.
  2. 1925 wurde ich in Priluki im Gebiet Tschernigow geboren. Als ich zwei war, wurde der Vater nach Rowny und später nach Tscherkassy versetzt. Er war Direktor der Tabakfabrik. Später wurde er zur Weiterbildung nach Kiew geschickt, da gab es die Akademie für Versorgung.
  3. Er studierte dort drei Jahre bis 1933. 1933 gab es eine furchtbare Hungersnot. Ich kann mich gut daran erinnern: Die Kinder liefen in Lumpen auf dem Markt herum und baten um Brot.
  4. Oder sie packten auch ein Brot oder Brötchen und liefen weg. Ich weiß noch, wie sie aufeinander an der Bäckerei lagen. Die Bäckerei war im Souterrain, die Fenster waren in einer Art Grube.
  5. Die obdachlosen Kinder lagen dort aufeinander und wärmten sich so. Diese Zeit habe ich sehr gut in Erinnerung. Aber ehrlich gesagt, mussten wir nicht hungern, weil er die Akademie besuchte und eine Ration erhielt. Aber ich weiß noch, ich hatte stets Appetit. Jedenfalls hungerten wir nicht.
  6. Aber infolge der Hungersnot konnte der Vater die Akademie nicht absolvieren und wurde nach Mogiljow-Podolskij geordert. Ich wurde dort eingeschult.
  7. Er arbeitete dort als Beauftragter für die Getreideernte. Die Stadt lag am Dnestr-Ufer, jenseits war Bessarabien, was zu Rumänien gehörte. Auf unserer Dnestr-Seite wurde extra eine Tanzfläche eingerichtet und an den Feiertagen spielte ein Orchester.
  8. Die Leute sangen, tanzten und freuten sich; sie wollten zeigen, wie schön das Leben in dem sowjetischen Land ist. Die Leute in Bessarabien kamen zum Ufer und sahen uns an
  9. Ich weiß noch wie heute, sie winkten uns mit weißer Unterwäsche zu, die sie im Fluss wuschen. Aber plötzlich kam die berittene Polizei und trieb sie weg. Das ist meine Kindheitserinnerung.
  10. Danach wurde mein Vater nach Nemirow im Gebiet Winniza geordert. Er war dort ebenfalls Direktor der Verwaltung für die Getreideernte. Dort verbrachte ich meine besten Kindheitsjahre. Ich hatte einen Hund, eine Katze und Vögel. Dort war ein großer Garten, allerdings nicht gepflegt. Dort liefen Hühner.
  11. Und das Wichtigste: Dort waren Pferde. Wanja, der Sohn des Pferdepflegers und ich stiegen auf die Pferde und ritten zum Teich. Die Pferde tranken Wasser und wir putzten sie mit Bürsten. Dann stiegen wir wieder auf, ohne Sattel, und kamen zurück.
  12. Seitdem liebe ich Hunde, Katzen und Vögel. Und ich liebe Pferde sehr, weil ich all das als Kind hatte.
  13. Hier ging ich in den Pionierpalast oder woanders hin und lernte tanzen. Ich liebte es zu tanzen und liebe es auch heute noch. Und ich lernte Piano zu spielen, ich träumte sehr davon, es zu können. Ich übte bei meiner Freundin, denn ich hatte kein Piano. Mein Vater versprach aber, ein Piano zu kaufen, das war mein Traum.