Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. So verging die Zeit, wir wuchsen heran. 1942 ging zu Ende, an 1943 habe ich kaum Erinnerungen. Aber Ende 1943 tauchte mein Vater auf, er wurde wegen Krankheit entlassen. Ich sah nicht, wie er nach Hause kam. Meine Cousine erzählte mir aber über Papas Ankunft.
  2. Das ist schwer zu beschreiben. Er rief meine Cousine und sagte: „Eva, bring mir saubere Unterwäsche.“ Sie erzählte, er entkleidete sich ganz, zündete die Kleidung an und wusch sich im „Aryk“. „Aryk“ ist ein kleiner Wasserkanal, den gab es in jedem usbekischen Innenhof. Erst danach wollte er die (neue) Kleidung anziehen, Unterwäsche und ein Hemd.
  3. Er wollte uns auf keinen Fall anstecken, um Gottes willen. Denn meine Mutter erkrankte wohl 1942 an Unterleibstyphus und ich besuchte das Krankenhaus. Ich staunte da – warum wurde meine Mutter kahlgeschoren? Mama schaffte es aber irgendwie, wurde gesund und konnte danach arbeiten.
  4. Bereits 1943 hofften wir, in die Ukraine zurückzukehren. Der Sohn der älteren Tante war an der Front. Er hatte seinerzeit die Artillerieschule in Tambow absolviert.
  5. Ich weiß noch, dass er 1943 sein Offiziersgeld seiner Mutter schickte. Und Ende 1944 bekamen wir die Papiere, um in die Ukraine zurückzufahren. Kiew war bereits von der deutschen Besatzung befreit.
  6. 1944 fand mein Vater eine Arbeit, wir hatten es etwas besser. Ich wundere mich aber, wenn ich an diese Zeit zurückdenke: Warum interessierte sich keiner für uns? Keine Behörde fragte uns, wie es uns geht, was wir machen, wie wir uns ernähren.
  7. Das interessierte absolut keinen, als ob wir in ein fremdes Land gekommen wären. Das erstaunt mich jetzt – wieso war es so? Später erzählte mir mein Vater über seine Zeit an der Arbeitsfront.
  8. Er war bei den sogenannten „Farchasstroj“, da wurde ein Kanal gegraben. Als ich schon erwachsen war, sagte er mir: „Du kannst dir nicht vorstellen, da waren sehr unterschiedliche Leute. Da waren Russlanddeutsche von der Wolga und alle möglichen Leute. Das hieß Arbeitsfront, die Leute starben buchstäblich in Scharen.“