Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия

Zhozef Trostanovskij

Zhozef Trostanovskij wurde am 28. Dezember 1931 in Charkow als Sohn von Solomon Trostanovskij und Berta Trostanovskaja, geb. Kagan, geboren 1937 kam seine jüngere Schwester zur Welt. Der Vater (geb. 1900) stammte aus einer frommen jüdischen Familie in Jelisawetograd (seit 1939 Kirowograd), er erhielt eine traditionelle jüdische Erziehung und sprach vor der Revolution nur Jiddisch und Hebräisch. Nachdem er sich am Bürgerkrieg auf Seiten der Bolschewiki beteiligt hatte, zog er nach Charkow. Dort arbeitete er sechs Jahre als Fabrikarbeiter, bis er zum Studium zugelassen wurde. Nach seinen Abschluss am Technologischen Institut in Charkow war er von 1930 bis 1960 bei Giprokoks, dem Staatlichen Entwicklungsinstitut für Koks- und Chemiebetriebe, beschäftigt. Die Mutter (geb. 1906) wuchs in einer schon stärker modernisierten jüdischen Familie in Gadjatsch auf, sie besuchte das Gymnasium, machte eine Ausbildung als Sekretärin und arbeitete im Gebietskriegskommissariat. Ihre Familie war von den Verfolgungen der “Großen Säuberung” betroffen – zwei Brüder wurden 1937 verhaftet und drei bzw. 20 Jahre inhaftiert.
1939 wurde Zhozef eingeschult. Seine erste Lehrerin, die Jüdin Anna Dawidowna Chalewskaja, wurde nach der Besetzung von Charkow durch die Deutschen in der Schlucht Drobizkij Jar ermordet. Familie Trostanovskij konnte am 10. Oktober 1941, zwei Wochen vor dem Einmarsch der Wehrmacht, die Stadt verlassen. Das Institut des Vaters wurde in den Ural evakuiert, die Familie lebte zunächst in der Kleinstadt Gubacha im mittleren Ural, dann in Swerdlowsk (Jekaterinburg). 1944 kehrte sie nach Charkow zurück.
Zhozef Trostanovskij beendete 1949 die Schule und studierte von 1949 bis 1954 an der historischen Fakultät der Universität Charkow. Dort wurde er mit den antisemitischen Kampagnen der späten Stalin-Zeit konfrontiert: Man beschuldigte ihn, eine zionistische Jugendorganisation in Charkow gegründet zu haben. Nach dem Studienabschluss arbeitete er mehrere Jahre als Dorfschullehrer und Pionierleiter. Danach konnte er keinen neuen Arbeitsplatz finden, bis er schließlich durch die Hilfe eines Bekannten eine Stelle in einem Kunststoffwerk erhielt. Dort arbeitete er zehn Jahre lang, zum Schluss als Leiter der Abteilung für Rationalisierung, Innovation und technische Information.
Trotz des beruflichen Erfolgs wollte Zhozef Trostanovskij in die Wissenschaft zurückkehren und entschied sich für Soziologie, ein Fach, das nach der Verfemung in der Stalin-Ära seit den 1960er-Jahren einen neuen Aufschwung erlebte. Anfang der 1970er-Jahre wurde er als Doktorand im Fernstudium am Institut für Sozialforschung bei der Akademie der Wissenschaften der UdSSR angenommen. Nach der Promotion arbeitete er bis zu seiner Pensionierung 1996 als Dozent am Lehrstuhl für Philosophie der Charkower Polytechnischen Universität.
1958 heiratete Zhozef Trostanovskij seine Frau, eine Lehrerin. Im gleichen Jahr wurde die Tochter Irina, 1967 der Sohn Semjon geboren. Nach der Auswanderung der Kinder nach Israel bzw. Deutschland beschloss auch das Ehepaar Trostanovskij, die inzwischen unabhängige Ukraine zu verlassen. Sie übersiedelten im Herbst 1996 nach Deutschland und ließen sich in Düsseldorf nieder.
Seit 1999 leitet Herr Trostanovskij das Projekt „Überlebende der Katastrophe“. Zusammen mit einem Team ehrenamtlicher Mitarbeiter/innen hat er in jahrelanger mühevoller Arbeit Berichte und Dokumente von Holocaustüberlebenden zusammengetragen und zu dem noch unpublizierten Buch „Die Mahnenden“ zusammengestellt.