Yeva Viknyanska (hinten r.) mit ihren zwei jüngeren Schwestern (vorne l.), einer Cousine und einem Cousin. Das Bild wurde um 1944 in Georgien aufgenommen.
Der Vater Awrum Viknyanski (r.) mit einem Kameraden, 1945. Die Widmungsinschrift auf der Rückseite lautet: „Am Tag des Sieges 9. Mai 1945. Für meine liebe Frau und Kinder von dem Vater Awrum.“
Yeva Viknyanska und ihr Mann Pjotr Moschinskij mit der Tochter und dem mit neun Jahren an Blutkrebs verstorbenen Sohn, um 1975
Awrum Viknyanski mit seinen Kindern und Enkeln in Kriwoj Rog, um 1978 (hinten links Herr Moschinskij mit dem Sohn auf dem Arm und Frau Viknyanska, vorne rechts neben dem Großvater die Tochter)
„Das ist das Gebetbuch meines Vaters. Ich bewahre es auf und brachte es mit hierher. Ich kann auf Hebräisch nicht lesen, schauen Sie es sich an, es ist ein sehr altes Gebetbuch. Er las immer Gebete aus diesem Buch. Meine Vorfahren waren Lehrer, sie versammelten die Kinder zu Hause und gaben Unterricht. Mein Vater lernte im Cheder, meine Mutter auch. Bei uns hörte das auf, wir lebten schon im Atheismus.“
Yeva Viknyanska wurde am 20. Juni 1936 in der südukrainischen Stadt Kriwoj Rog, einem Zentrum des ukrainischen Eisenerzabbaus, als älteste von vier Schwestern geboren. Ihr Vater Awrum war Kürschner, ihre Mutter Esther arbeitete in einer Fabrik. Beide Elternteile stammten aus Familien, die zu den Brazlawer Chassiden gehörten. Ein Urahn der Mutter war Nathan Sternharz (1780–1844), der wichtigste Schüler von Rabbi Nachman von Brazlaw (1772–1810), der nach dessen Tod seine Lehren weiterverbreitete.
Nach dem deutschen Überfalls auf die Sowjetunion hatte Familie Vyknyanski – Vater, schwangere Mutter, zwei kleine Töchter – keine Möglichkeit, sich organisiert evakuieren zu lassen. Kurz bevor Ende August 1941 Kriwoj Rog von deutschen Truppen eingenommen wurde, gelang es ihnen, die Stadt auf eigene Faust zu verlassen. Zuerst zu Fuß, dann mit Güterzügen gelangten sie in die Region Krasnodar im Nordkaukasus. In einer Kosakensiedlung gebar die Mutter am 18. Oktober 1941 ihre dritte Tochter. Wenig später musste die Familie wegen des deutschen Vormarschs erneut fliehen. Über die Hafenstadt Machatschkala, wo ein vierjähriger Cousin an der Ruhr starb, gelangten sie nach Georgien. Zunächst lebten sie in der Region Zichisdschwari, dem “Georgischen Sibirien”, dann in dem Kurort Borshomi und schließlich in der Stadt Chaschuri, wo Yeva eingeschult wurde.
In Georgien traf die Familie einen Bruder der Mutter wieder. Dieser reiste nach der Befreiung der Ukraine im Herbst 1944 heimlich nach Uman zum Grab des Rabbi Nachman – dem traditionellen Ziel der Pilgerreise Brazlawer Chassiden zu Rosch ha-Schana, dem jüdischen Neujahrsfest. Nur durch Glück entging er einer Verhaftung.
Yevas Vater, der trotz einer Sehbehinderung zur Armee einberufen wurde, überlebte den Krieg. Bis auf eine Verwandte, die aus dem KZ fliehen konnte, wurden aber alle seine Angehörigen, die in Teplik bei Winniza lebten, im Holocaust ermordet. Aus diesem Grund beschlossen seine vier Töchter, den Familiennamen auch nach ihrer Eheschließung weiter zu tragen.
Nach der Rückkehr nach Kriwoj Rog erlebte die Familie Vyknyanski die Auswirkungen des Antisemitismus, der in der Nachkriegszeit in der Sowjetunion herrschte. Auch offene Religionsausübung war nicht möglich. Die Familie feierte zu Hause die jüdischen Feste und versuchte, in diesem Rahmen jüdische Traditionen zu bewahren. Der Vater gehörte einer kleinen geheimen Gemeinde an, die in den 1960er-Jahren vom KGB enttarnt wurde.
Yeva Vyknyanska studierte an der Pädagogischen Hochschule, nachdem man ihr zunächst die Zulassung zum Studium verweigert hatte. Sie arbeitete als Pionierleiterin und dann als Mathematiklehrerin. 1967 heiratete sie Pjotr Moschinskij (geb. 1931) und gründete mit ihm eine Familie. Aufgrund des Antisemitismus in der selbständig gewordenen Ukraine entschlossen sich die Eheleute zur Auswanderung. 2001 kamen sie nach Köln, wo sie in der Jüdischen Gemeinde eine neue Heimat gefunden haben.