Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия

Alexandra Rolova

Alexandra Rolova wurde 1920 im zentralrussischen Uglitsch geboren. Ihre Eltern, Rosa Lipkin (1895–1963) und der Arzt David Abramowitsch (1892–1975), stammten wie die Großeltern aus Lettland und zogen noch in den 1920er-Jahren nach Riga. Alexandra wuchs behütet, in gesicherten Verhältnissen und einer kulturell interessierten, bildungsbeflissenen Familie auf.
Nachdem Lettland seit dem Ersten Weltkrieg unabhängig war, spielte die russische Kultur und Sprache für sie zunächst keine Rolle. In der Schule lernte Alexandra auf Lettisch und Deutsch, das auch ihren Eltern – der Vater hatte in Berlin studiert – vertraut war. Die Großeltern Alexandras sprachen Deutsch und Jiddisch; sie waren gläubig, viele Freunde des Hauses jüdischer Nationalität, die Eltern dem Judentum kulturell verbunden. Tiefere religiöse Gefühle gingen damit, erzählt Alexandra Rolova, jedoch nicht einher.
Der Beginn der 1940er-Jahre brachte für die Familie einschneidende Veränderungen. Zunächst annektierte die Sowjetunion Lettland. Daraufhin wurden 1941 Tausende von Menschen, viele jüdischer Herkunft, willkürlich verhaftet und als „gefährliche Elemente“ in Gefangenenlager deportiert. Nur wenig später marschierten deutsche Truppen im Baltikum ein. Die Familie – Alexandra, die Eltern und ihr Bruder Georg – floh aus Riga und verbrachte drei Jahre im russischen Saratow.
Alexandra setzte dort ihr Studium fort, wechselte aber nach einiger Zeit auf die nach Saratow evakuierte Leningrader Universität. Nach dem Abzug der deutschen Truppen ging sie ein Jahr als Doktorandin nach Leningrad, bevor sie 1945 wieder nach Riga zurückkehrte. Zunächst arbeitete sie an der Pädagogischen Hochschule, seit Mitte der 1950er-Jahre an der staatlichen Universität in Riga, wo sie zur Professorin aufstieg. Ihr Spezialgebiet war Italienische Geschichte. Als bekannte Wissenschaftlerin wurde sie von der Universität Lettlands anlässlich ihres 90. Geburtstages mit einer großen wissenschaftlichen Tagung geehrt.
1947 heiratete Alexandra Paul Rolov (1911–1961), der vor dem Krieg Jura studiert, dann in der Roten Armee gedient hatte und nach einer Verwundung entlassen worden war. Er arbeitete seitdem als Theaterdirektor und leitete das Rigaer Jugendtheater, wo trotz politischer Widerstände auch Stücke wie „Emil und die Detektive“ oder „Tagebuch der Anne Frank“ inszeniert wurden. Nach dem Krieg hatte Alexandra erlebt, wie jüdische Gelehrte verfolgt und Gespräche über die Schoa unterdrückt worden waren. Trotz dieses Drucks blieb das Ehepaar Rolov für jüdische Traditionen und Themen aufgeschlossen – und ihre Trauung folgte auf Bitten des Vaters jüdischem Brauch.
1991 wanderte Alexandra Rolova aus und ließ sich in Aachen nieder. Sie entsprach damit auch einem Entschluss ihres Sohnes und seiner Familie, die Lettland aufgrund wirtschaftlicher und politischer Unsicherheiten verlassen wollten. In Deutschland entdeckte Alexandra Rolova nicht nur ihre Muttersprache wieder, sondern entwickelte auch ein lebendiges Interesse für das Judentum. Sie gab Sprachunterricht in der Jüdischen Gemeinde und engagierte sich in der Aachener Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, deren jüdische Vorsitzende sie seit 2011 ist. Sie veröffentlichte Artikel und hielt Vorträge über berühmte jüdische Frauen, Juden in der italienischen Renaissance, die historischen Wurzeln des Antisemitismus und andere Themen – in vielen deutschen Städten. In Aachen besuchte Alexandra Rolova zum ersten Mal eine Synagoge. Sie könne selbst nicht mehr gläubig werden, wie sie sagt, aber: „Ich verstehe, was die Religion für eine Bedeutung hat, und warum sie so eine Bedeutung hat“.
Zurückblickend betont sie das „große Glück“, das sich wie „ein roter Faden“ durch ihr Leben gezogen und sie im Krieg und in der Sowjetunion vor vielerlei Leid und Ausgrenzung bewahrt habe. Auch die Übersiedelung nach Deutschland ist für sie ein Glück, die „Befreiung aus einem Gefängnis“ und die Möglichkeit, ihre „jüdische Identität“ zu entdecken.