Willi und Sarra Riewe mit drei befreundeten deutsch- bzw. österreichisch-russischen Paaren, 1935. Nicht im Bild Toni Trenker, der das Foto aufgenommen hat.
Bildtafel mit Porträts der Dozenten und ersten Absolventen der Pädagogischen Hochschule, Philologische Fakultät, in Chisinau, 1971. Grete Ionkis ist die 2. von links in der obersten Reihe.
Buchtitel von Grete Ionkis: Englische Dichtung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Moskau 1967
Bescheinigung für Ewriwiad Ionkis über seine Tätigkeit als Abteilungsleiter bei der Staatlichen Donaureederei, Ismajil 1944
Ehrenurkunde für Grete Ioffe „für gute Leistungen und vorbildliches Benehmen“ in der 1. Klasse, 1945
Grete Ionkis wurde am 1. Juni 1937 in Pawlowo-na-Oke (bei Nischnij Nowgorod) als einziges Kind der Eheleute Willi und Sarra Riewe geboren. Willi Riewe (1901–1962) stammte aus Berlin; 1930 hatte er sich als ausländischer Facharbeiter in die Sowjetunion anwerben lassen. Sarra Ioffe (1913–1989), von Beruf technische Zeichnerin, stammte aus einer russisch-jüdischen Familie; sie war in Tuapse am Schwarzen Meer an den Ausläufern des Kaukasus aufgewachsen. Die beiden lernten sich 1933 in der Hafenstadt Noworossijsk kennen und heirateten 1934.
Wie fast alle ausländischen Facharbeiter wurde Willi Riewe ein Opfer des „Großen Terrors“. Zwei Monate nach Gretes Geburt wurde er vom NKWD verhaftet und der Spionage beschuldigt; 1938 wurde er nach Deutschland abgeschoben. Gretes Mutter, die nach der Verhaftung davon ausgehen musste, dass ihr Mann tot war, heiratete 1942 Ewriwiad Ionkis, einen jüdischen Sowjetbürger aus Odessa.
Grete wuchs zunächst in Noworossijsk bei ihrer Mutter und ihren Großeltern auf. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde sie mit den Großeltern im letzten Moment evakuiert. Die Familie gelangte über Machatschkala (Dagestan) und Krasnowodsk (heute Türkmenbaşy, Turkmenistan) nach Ksyl-Orda in Kasachstan, wo die Großmutter an Typhus starb. Im Frühjahr 1944 zog Grete mit ihrer Mutter in das befreite Odessa, wo der Stiefvater den Wiederaufbau des Hafens leitete.
1947 erfuhr Willi Riewe, dass seine Frau und Tochter in Odessa lebten. Er hatte während des Krieges in einer Munitionsfabrik bei Prag gearbeitet und war 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten. Sarra Ionkis konnte ihm auf Umwegen einen Brief mit einem Bild Gretes übermitteln, weitere Kontakte wurden vom sowjetischen Sicherheitsdienst unterbunden. Um Grete zu schützen, wurde sie von ihrem Stiefvater 1948 offiziell adoptiert.
Ewriwiad Ionkis verlor 1950 während der antisemitischen Kampagne gegen „Kosmopoliten“ seine Anstellung in Odessa. Er nahm einen Posten auf der Insel Sachalin im Pazifik an; seine Frau und Grete folgten ihm 1952.
1954 schloss Grete Ionkis die Schule mit Auszeichnung ab und begann ihr Studium der Philologie und Geschichte an der Pädagogischen Hochschule in Moskau. Nach dem Studienabschluss und zwei Jahren als Lehrerin in Sachalin promovierte sie ebenfalls in Moskau in englischer Literatur. Von 1964 bis 1969 arbeitete sie als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule in Komsomolsk am Amur (Region Chabarowsk, Russischer Ferner Osten) am Lehrstuhl für russische und ausländische Literatur. Dort kam Robert, ihr einziger Sohn, zur Welt. Danach war sie 25 Jahre Lehrstuhlinhaberin an der Pädagogischen Hochschule in Chisinau (Moldauische Sowjetrepublik, seit 1991 Republik Moldau). 1981 habilitierte sie sich in Moskau und wurde Professorin.
Grete Ionkis hat sich seit den 1980er-Jahren intensiv bemüht, Näheres über das Schicksal ihres leiblichen Vaters herauszufinden. Sie erfuhr schließlich, dass er Anfang 1951 aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft entlassen worden und 1962 in West-Berlin verstorben war.
1994 emigrierte Grete Ionkis mit ihrem Mann Isaak Olschanski nach Deutschland. Sie wohnt seither in Köln, engagiert sich vornehmlich im russischsprachigen Kulturleben und schreibt Bücher und Artikel. Neben Werken über verschiedene Aspekte der europäischen Literaturgeschichte hat sie auch einen autobiografischen Roman publiziert. Seit 2008 ist sie Mitglied des internationalen P.E.N.-Clubs (Zentrum der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder).