Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich wurde 1928 in Chisinau geboren, damals Rumänien. Chisinau war die Hauptstadt der rumänischen Provinz Bessarabien. Mir passierte etwas Kurioses, als ich in der Sowjetzeit volljährig wurde und einen Pass bekommen sollte. Ich wusste mein Geburtsdatum nicht, ich konnte die Frage danach nicht beantworten.
  2. Im Standesamt rief das Verwunderung hervor: „Wie? Sie wissen nicht, wann Sie geboren wurden?“ So musste ich erzählen, wie es dazu kam. Es war so: Bei uns war es üblich, alle neugeborenen Kinder – jüdisch und christlich – entweder vom Rabbiner oder vom Priester registrieren zu lassen. Ich als Jude wurde nach meiner Geburt natürlich vom Rabbiner registriert. Der jüdische Mondkalender unterscheidet sich aber vom gregorianischen, und meine Eltern machten sich überhaupt keine Gedanken um meinen Geburtstag.
  3. Ich wusste, dass ich am 20. Tag des jüdischen Monats Nissan geboren wurde. Nein, Entschuldigung, nicht Nissan, sondern Tevet. Meine Mutter sagte zu mir: „Du wurdest am 20. Tag des Monats Tevet geboren.“ Ich wusste aber nicht, wann dieser Tag war. Sie erzählte mir noch, dass es damals sehr kalt war und gerade ein christliches Fest.
  4. Ich dachte nach und entschied, das es wohl das Epiphaniefest gewesen sei, also der 6. (Januar). Das Standesamt schickte mich zu einer Kommission, die mein Alter bestimmen sollte. Diese Kommission stellte aber bloß die Frage: „Sagen Sie, wann wurden Sie geboren? Wir tragen das Datum ein.“ Ich sagte am 6. Januar, und es wurde so eingetragen. So hatte ich nun zwei Geburtstage: einen am 20. Tag des Monats Tevet, der fällt jedes Jahr auf einen anderen Tag. Und der 6. Januar.
  5. Viele Jahre später… Ich war 16, als ich den Pass erhielt. Und als ich hierher kam, war ich 66. Ich kam also 50 Jahre später nach Deutschland und sah in der Gemeinde einen jüdisch-christlichen Kalender, der 200 Jahre umfasst. So wollte ich erfahren, an welchem Tag ich 1928 geboren wurde. Ich stellte dann fest, dass ich am 14. Januar geboren wurde. So hatte ich noch einen dritten Geburtstag.
  6. Heute feiern wir meinen Geburtstag zu Hause am 14. Januar. In allen Papieren steht aber der 6. Januar, auch die Gemeinde gratuliert mir am 6. Januar genauso wie meine Freunde. So sieht es bei mir aus. Meine Frau sagt, ich würde meinen wahren Geburtstag verheimlichen.