Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Wenn ich das Fazit meines bisherigen Lebens in Deutschland ziehe: Ich bin Autor – manchmal Mitautor – von über 350 Arbeiten. In den zehn Jahren in Deutschland schrieb ich – natürlich auf Russisch, einiges auf Deutsch – etwa 50 oder 60 Arbeiten. Was kann ich noch dazu sagen… Etwa 15 in Deutschland geschriebene Arbeiten hatten den Holocaust zum Thema.
  2. Außerdem – ich werde das später zeigen – mache ich auch heute noch Veröffentlichungen in Deutschland, Amerika, Moskau, Kiew und Charkow. Damit Sie Bescheid wissen, mit welchem Hooligan und Multispezialist Sie es zu tun haben. Ich halte Vorlesungen und Vorträge im Eugenie-Brecher-Seniorenzentrum der Gemeinde.
  3. Brecher ist auch in unserem Buch als Überlebende vertreten, sie war zehn Jahre Vorstandsvorsitzende. Ebenso im Club für Wissenschaft und Technik, sie sind meine Raumnachbarn. Und noch im Nelly-Sachs-Haus, in der Bibliothek und in anderen Städten. Wissen Sie, es heißt ja: Duum spiro spero – so lange ich atme, hoffe ich. Solange meine Beine und mein Kopf mitmachen… Etwas anderes bin ich nicht gewöhnt.
  4. Nun, wenn man ehrlich sein will… Die Sowjetunion brach 1991 zusammen. Ich wanderte bereits aus der „unabhängigen, einheitlichen und demokratischen“ Ukraine aus. Daher bin ich der Meinung: Bei all dem, wie das Leben meiner Familie verlief und mein Leben in der Sowjetunion und vor und nach der Revolution…
  5. Wenn man das auf die Waagschalen wirft – Minus und Plus –, dann wanderte ich eben nicht aus der Sowjetunion aus, sondern aus der „unabhängigen, einheitlichen und demokratischen“ Ukraine. Ich kann nicht behaupten, ich sei vom Antisemitismus stark betroffen gewesen. Das Leben war eben so.
  6. Und in der neuen Ukraine gehörte ich zur nationalen Minderheit. Das passte mir nicht. Im Ernst gesagt, würde ich im Grunde sagen: Ich habe mir nicht die Frage gestellt: „Wieso nach Deutschland?“ Ich habe die Frage gestellt: „Was verlasse ich?“ Nun zurück zur Frage über Israel. Mein Sohn hat sein eigenes Schicksal gewählt.
  7. Meine Tochter wollte auch nach Israel, suchte sich aber Deutschland aus. Und wir wählten Deutschland aus, aber nicht weil ich irgendwelche materiellen Möglichkeiten hier bevorzugt hätte. In Israel sind sie immer noch geringer. Wie man so sagt: Danke hier und dort. (Wichtiger) war für uns eher das Klima.
  8. Ich besuche Israel, liebe das Land und erzähle darüber. Auch viele andere reisen dahin. Mein Leben ist aber in Deutschland. In den Jüdischen Gemeinden gibt eine gängige Meinung, vor allem bei den Hiesigen: „Deutschland ist unser Heim.“ Ich kann das so nicht sagen.
  9. Dein Haus ist da, wo deine Heimat ist, wo deine Wurzeln und die Gräber deiner Ahnen sind. Und egal, wie die Heimat auch sein mag. Ich will einem Teil der Migranten, Russlanddeutschen, Juden usw. nichts vorwerfen. Das ist meine Meinung: Die Heimat ist dort.
  10. Denn der Mensch kann zwei Sachen nicht wählen, das wissen Sie genauso gut: seine Heimat und seinen Geburtsort. Ob ich mit dem Leben in Deutschland zufrieden bin?
  11. Mir war klar, ich kam ja mit 65 Jahren hierher – von welcher aktiven Arbeit konnte da überhaupt die Rede sein? Es ist ja objektiv so, das muss man selbst begreifen. Der Wunsch (zu arbeiten) war natürlich da, ich habe dann das (Projekt) für mich gefunden.