Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Meine Kindheit begann unter dem Vorzeichen des Großen Terrors. Sie war vom Einzigartigen und Typischen der Sowjetperiode stark geprägt. Ich habe einst die Erzählung „Der Tannenbaum“ geschrieben. Tannenbäume waren verboten, und meine Eltern, vor allem die Mutter, machten für mich heimlich einen Tannenbaum. Man brachte einen Tannenzweig nach Hause und er wurde am Wandteppich über meinem Bett festgenäht. Meine Mutter hatte kleine Kerzenhalter.
  2. Dann bekam sie von jemandem Kerzen aus der Kirche. Denn es war auch gefährlich, in die Kirche zu gehen. Sie schnitt die Kerzen in kleine Stücke. Dann wurde das Fenster geschlossen, und ein kleines Fest für mich ausgerichtet. Meine Mutter sagte mir aber, dass ich keinem davon erzählen soll. Ich muss sagen: Die Kinder in der Sowjetunion wurden unterschiedlich erzogen – ich meine geistig, in Bezug auf die Sowjetmacht und die Ereignisse.
  3. Im ersten Fall nahmen die Eltern alles bedingungslos an und erzogen ihre Kinder in diesem Geist. Im zweiten Fall nahmen sie es vielleicht nicht an, erzogen die Kinder jedoch in diesem Geist. Im dritten Fall kümmerten sich die Eltern nicht um die Erziehung und überließen sie der Schule. Für mich galt der vierte Fall, das war eher eine Ausnahme: Ich war sechs, als meine Mutter mir erklärte, was im Land passiert.
  4. In der Zeit gab es bereits Verhaftungen, unsere Bekannten verschwanden. Da war der Mord an (Sergej) Kirow, und ich kann mich an diesen Tag gut erinnern. Einmal wachte ich auf und hatte Angst, ich war Kind, sechs Jahre alt. Durch den Türspalt sah ich Rauchschwaden, meine Mutter rauchte viel. Sie (die Eltern) saßen mit einem sehr guten Freund zusammen, und ich hörte sie reden. Ich hörte, dass sie die Geschehnisse missbilligen und auch Stalin.
  5. Ich rief meine Mutter und sie beruhigte mich. Am nächsten Morgen erzählte sie mir alles. Alles, was ich mit meinen sechs Jahren verstehen konnte. Das brachte mir Erleichterung, weil ich nun verstand, was los war. Aber ich würde sagen, es brachte auch sehr große Verwicklungen in mein geistiges Leben. Denn in so einem zarten Alter wurde ich ein gespaltener Mensch, wie später auch die meisten meiner Bekannten in Russland