Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich werde nicht über alles berichten, was ich hier geschafft habe. Ich nenne nur drei Dinge. Erstens habe ich hier das Buch über das Wilnaer Ghetto gemacht. Es hat ein Vorwort (von mir), vielleicht haben Sie es gelesen. Von meiner Schwester habe ich schon erzählt – ihr Vater, mein Onkel, war vor der Revolution Journalist.
  2. Als Wilna polnisch war, geriet er als Journalist manchmal in Schwierigkeiten. Er bekam beinahe Berufsverbot. Er machte dann etwas anderes, hatte ein Geschäft oder Ähnliches. Seit den ersten Tagen der (deutschen) Besatzung war ihm bewusst, dass er dabei eine Art Chronist ist. Er begann, Notizen (über das Ghetto) zu machen und tat es fast bis zu seinem letzten Tag. Das entstandene Manuskript war dann sehr schwer zu bearbeiten.
  3. Er (mein Onkel) musste in mehreren Heften und auf Papierfetzen schreiben. Er schrieb ständig unter Todesangst, denn er wäre sofort ermordet worden, wenn man ihn erwischt hätte. Er arbeitete mit dem (anderen) Onkel zusammen, war auch in der Pelzfabrik (Kailis) untergebracht. All seine Aufzeichnungen übergab er der Litauerin Anna Schimaite. Sie war eine Verbindungsperson und gehörte zum litauischen Widerstand. Sie sorgte für Kontakt zu dem Ghetto. Sie opferte sich auf, war eine Art Heilige.
  4. Sie sagte z.B.: „Ich habe nur zwei Kleider und brauche auch keins mehr. Ich wasche ein Kleid und trage das andere.“ Sie brachte Essen ins Ghetto und schmuggelte seine (meines Onkels) Aufzeichnungen heraus. Sie versorgte ihn mit Papier und Tinte. Die Aufzeichnungen versteckte sie unter dem Boden in der Uni zu Vilnius, wo sie arbeitete. Und später, als er in Stutthof umkam… Er wurde vor der endgültigen Vernichtung der Wilnaer Juden nach Stutthof abtransportiert, als das Ghetto schon liquidiert war, über sechs Monate zuvor. Sein Manuskript lag dann unter dem Boden in der Universität.