Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Nach dem Krieg lebten noch (drei) Geschwister meines Vaters. Also blieben nur vier am Leben: mein Vater, sein jüngster Bruder, der von der Front zurückkam, und zwei Schwestern. Eine war mit uns in der Evakuierung gewesen, nicht weit weg von uns. Und die zweite Schwester blieb zu Hause, sie lebte in einem Dorf und wurde dort zusammen mit ihren Kindern versteckt.
  2. Sie war mit einem Ukrainer verheiratet, sodass sie überleben konnte. Von allen Geschwistern überlebten nur die vier. Und Mamas Schwester war bei ihrer Familie in Tschudnow geblieben, sie war verheiratet und hatte zwei Kinder. Sie blieben dort und kamen um. Das heißt, mütterlicherseits lebte keiner mehr. Ihr Vater blieb auch da und wurde während des Krieges ebenfalls ermordet.
  3. Zwei Geschwister meines Vaters starben bereits im Kindesalter – und die anderen wurden während des Krieges ermordet. Sie gingen nicht in die Evakuierung, blieben da und wurden ermordet. Nur unsere Familie konnte also überleben. (Und) mein Cousin und meine Cousine… Sie waren die Kinder eines Onkels, der ermordet wurde. Seine Kinder wurden evakuiert, während er da blieb. Wie es dazu kam, weiß ich nicht.
  4. Berditschew wurde (früher) als jüdische Hauptstadt bezeichnet. Es war eine fast vollständig jüdische Stadt – vor dem Krieg und auch nach dem Krieg. Viele kamen dann zurück. Sie galt als jüdische Stadt. Wenn man von Berditschew sprach, wussten alle: „Ja, dort leben die Juden.“
  5. Irgendwann las ich die offiziellen Angaben des Stadtparteikomitees von Berditschew: Vor dem Krieg lebten (demnach) über 70.000 Einwohner in Berditschew. Das ist keine Großstadt, aber für die dortigen Verhältnisse auch keine Kleinstadt. Nach dem Krieg gab es da noch 18.000. Es gibt sehr viele Massengräber, wo alle begraben sind.
  6. Ich weiß nicht, ob es verboten war... Das (die Schoa) wurde aber (in der Sowjetunion) verschwiegen, darüber wurde nicht geredet. Wir wussten, wer von uns umgekommen war. Aber ihrer so zu gedenken wie hier… Hier in Dortmund lädt uns der Bürgermeister an jedem 9.11. ins Opernhaus ein. Und der „Kristallnacht“ wird hier sehr feierlich gedacht.
  7. Dort (in der Sowjetunion) gab es nichts davon, keiner sprach darüber. Ich weiß nicht, inwieweit das stimmt, ich habe nie persönlich darüber gelesen. Aber sehr viele haben erzählt, dass 1953 alles vorbereitet gewesen wäre, um alle Juden nach Sibirien zu deportieren. Die Züge usf. wären schon dafür bereit gestanden. Stalin starb jedoch zum Glück, und es ist nicht dazu gekommen.