Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ihre erste Handlung war: Sie schickte mich wieder (weg) nach Charkow. Denn sie wartete auch auf ihre eigene Verhaftung. Später, ich glaube, das war Ende 1938, kam es zur Absetzung von Jeschow, an seine Stelle trat Berija.
  2. In diesem kurzen Zeitraum gab es sogar eine Milderung, einige (Gefangene) wurden sogar freigelassen. Mama war in der Tat in der Kusnezkij Most 24, bei der Auskunftsstelle. Ihr wurde zuerst gesagt: Der Prozess, die Verhöre usw. finden in Lefortowo statt.
  3. Wohl im September wurde ihr mitgeteilt, er (ihr Mann) wäre zu zehn Jahren Lager verurteilt, ohne Recht auf Korrespondenz. Als sie ein nächstes Mal nach seinem Schicksal fragte, zeichnete ein sehr genervter NKWDler einen Haken auf eine Seite in ihrem Pass. Seitdem hörte sie jedes Mal beim Vorlegen des Passes nur einen Satz: „Verurteilt zu zehn Jahren Sonderlager ohne Recht auf Korrespondenz.“ So ging das bis 1955.
  4. Das Schicksal meiner Mama war so, dass sie keine Hochschulbildung hatte. Und sie nahm jede Arbeit auf, um für den Lebensunterhalt irgendwie legal sorgen zu können. Dabei arbeitete sie als Rechnungsführerin in einem Gemüselager und Krankenschwestergehilfin in einer Kinder- und Frauenberatung.
  5. Und sie schloss in dieser Zeit einen Englischkurs für Übersetzter und Lehrer ab. Das war keine regelrechte Hochschulausbildung, jedoch konnte sie nun legitim arbeiten und ihre Englisch-Kenntnisse nutzen. Zum Glück – da finde ich kein anderes Wort – machte sie im März 1941 den Abschluss und erhielt ein Zeugnis.
  6. So ging sie in die Evakuierung mit einem Dokument, das sie zu einer Arbeit berechtigte. Seit der Zeit in der Evakuierung arbeitete sie als Englischlehrerin. Sie übte den Beruf aus, bis sie in Rente ging. Außerdem möchte ich unbedingt Mamas Bruder Aron Isaak erwähnen.
  7. Er war Chemiker von Beruf und arbeitete in einem Institut in Dnepropetrowsk. Er war promoviert, vor dem Krieg hatte das einen hohen Stellenwert. Er konnte sein persönliches Leben nicht regeln, verdiente aber ordentlich. Einmal 1947 stand ich vor der Frage: Soll ich am Technikum oder an einem Institut studieren?
  8. Mama und ich beschlossen, ich gehe aufs Technikum, da die Mittel für das Institut fehlen. Er besuchte uns (damals) und sah, wie wir leben. Als er erfuhr, dass ich aufs Technikum will, sagte er: „Nein, du gehst in die achte Schulklasse, machst den Schulabschluss und ich werde dafür finanziell sorgen.“ Und er überwies uns ein Drittel seines Gehalts – so lange, bis ich 1955 meinen Hochschulabschluss machte.