Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Da mein Vater und schon der Großvater keine Verwandten hatten, schloss sich der Vater der Familie der Mutter an. Er war mit all ihren Brüdern befreundet. Ich wurde später geboren, kann mich aber an (gemeinsame Feste) erinnern.
  2. Alle hatten Familien gegründet und Kinder bekommen, und sie feierten alle Geburtstage und religiösen und staatlichen Feste. Es kamen etwa 25 Leute zusammen. Die Familie hielt sehr zusammen, alles war… Ich denke, meine Mutter war auch nicht ganz religiös.
  3. Und den Vater faszinierte eher die formelle rituelle Seite der orthodoxen Festtage. Das hatte jedoch mit seinen Erinnerungen an die Kindheit zu tun, mit der Tradition.
  4. Und die Mutter sorgte für all das, damit er es in diesem Sinne in der Familie schön und komfortabel hatte. Denn er war der einzige Orthodoxe in der großen Familie.
  5. Dann musste man sein eigenes Leben aufbauen. Sie haben das schon oft gehört, das alles war nicht so einfach: Die Sowjetmacht, da in Einzelheiten zu gehen… Was hat ihnen geholfen…
  6. Ja, der Vater wurde am Polytechnischen Institut in Odessa immatrikuliert, um den Abschluss zu machen. Er machte allerdings ein Abendstudium und arbeitete weiter. Die Mutter hatte schon ein Arzt-Diplom und arbeitete so die ganze Zeit.
  7. Einen Hochschulabschluss zu Anfang der 1920er-Jahre zu haben, half ihnen natürlich im Leben weiter. Also, sie mühten sich nicht vergebens darum ab. Das beförderte sie in eine ganz andere soziale Schicht und gab sozusagen dem Aufstieg einen Schwung.
  8. Sie bekamen 1923 ein Kind, das gleich starb. 1925 wurde noch ein Sohn geboren, mein älterer Bruder. Vater wechselte inzwischen die Arbeitsstelle. Bei uns in Odessa gab es ein großes Werk für Schiffsbau und -reparatur, benannt zu Ehren des französischen Kommunisten André Marty.
  9. Der Vater arbeitete als Produktionsleiter in diesem Werk. Es war sozusagen eine hohe Position. Danach wurde er in die Ingenieur-Hochschule für Seefahrt berufen. Er machte da Vorlesungen über Metalltechnologien und Schiffsreparatur.
  10. Er verteidigte seine Dissertation und wurde Dozent. 1936 wurde ich geboren, ziemlich überraschend für sie. Denn mein Vater war 47 Jahre alt und meine Mutter 42. Ich bin sozusagen ein spätes Kind.
  11. Meine Kindheit war wohl sehr glücklich und sehr angenehm. Nach den späteren Erzählungen der Eltern zu urteilen, fiel sie allerdings in eine Zeit des unvorstellbaren Stalin-Terrors, 1937-1939. Ich habe später erfahren: Sehr viele Freunde der Eltern kamen um und die Angst war immer in der Luft.
  12. Wenn jemand eine gewisse Position innehatte, war die Wahrscheinlichkeit, vom Staat repressiert zu werden, viel höher als für einen Handwerker und Arbeiter. Die Sache ging an ihnen aber irgendwie vorbei. So lebte unsere ganze Familie bis 1941.