Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Meine Mama konnte, als sie noch in Moskau lebte, eine deutsche Schule beenden. Schon ein Jahr später wurde sie geschlossen. Sie kam nach Leningrad und begann am Technikum für Bauwesen zu studieren. Dort traf sie meinen Vater, danach wurde ich geboren. Und 1941 brach der Krieg aus, der Vater wurde sofort eingezogen.
  2. Vorher war er schon 1939 im Krieg gegen Finnland gewesen. 1941 wurde er als Soldat eingezogen. Sie hatten das Technikum absolviert. Er studierte danach am Lesgaft-Institut für Körperkultur und wurde dort eingezogen. Und Mama arbeitete damals schon auf dem Bau.
  3. Wir wohnten immer noch in dieser Wohnung, nur der Großvater war nicht mehr da – Großmutter und wir. Als der Vater eingezogen wurde, wurde Mama auch verpflichtet. Sie baute Autostraßen und arbeitete beim staatlichen Betrieb für Straßenbau. Sie war Leiterin der Abteilung Produktion und Technik.
  4. Leningrad wurde gleich beschossen und bombardiert. Und sie musste sofort mit einer Arbeitsbrigade in einen LKW steigen und kontrollieren, ob die Straßenbahn noch fährt und die Autostraßen intakt sind. Sie fuhren im Ernstfall dahin, um die Lage zu verbessern. Sie kam nicht mehr nach Hause. Ich wohnte mit meiner Großmutter in der Sojusa-Petschatnikow-Straße 10 im vierten Stock. Es begann der Hunger. Großmutter stand nachts Schlange, um Brot zu kaufen.
  5. Um mich kümmerte sich hauptsächlich meine Großmutter. Sie stammte aus einer Hausmeister-Familie. Den Großvater hatte sie bei einem Streik kennen gelernt, 1905 oder vielleicht später. Also während eines Streiks schlugen sie Kosaken mit einer Peitsche. Großvater half ihr, und so lernten sie sich kennen. Obwohl Großmutters Vater Hausmeister war, konnte er ihnen eine gute Bildung geben.
  6. Sie hatten fünf Kinder, drei davon starben. Überlebt hat der Onkel Andrjuscha. Er war Jurist und unter der Sowjetmacht wurde er Polizeileiter. Großmutter erhielt auch keine schlechte Bildung und besuchte eine spezielle Schule oder ein Gymnasium, das weiß ich nicht mehr. Sie sang sehr gut, hatte eine Sopranstimme. Sie konnte sehr gut sticken, stricken und nähen. Von Näharbeiten lebte sie ihr Leben lang – vom Nähen und Singen.