Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich wurde in Polen geboren, in Oswiecim, auf Deutsch Auschwitz. Mein Vater war Schneider. Unsere Familie bestand aus vier Jungen, drei Mädchen und den Eltern. Unsere Familie war neunköpfig.
  2. Mein Vater wurde 1895 geboren, meine Mutter auch 1895. Mein ältester Bruder wurde 1915 geboren, meine älteste Schwester 1921. Mein zweiter Bruder wurde 1921 geboren. Ich wurde 1923 geboren. Ich hatte noch einen Bruder, 1925. Eine Schwester wurde 1927 geboren. Und die jüngste Schwester 1933.
  3. Wir lebten in Polen, ich ging in die polnische Schule. Ich wurde mit sechs Jahren eingeschult und habe nur die 5. Klasse beendet. Warum? Ich konnte nicht weiter lernen, weil unsere Familie sehr arm war. Nur unser Vater arbeitete, er musste die ganze Familie ernähren.
  4. Wir haben natürlich sehr gehungert, ich ging immer hungrig zur Schule. Und nicht ich alleine, alle meine Geschwister. Wir machten es so: Einer geht zur Schule, dann kommt er zurück, zieht die Kleidung aus. Ich ziehe dann seine Kleidung an, Schuhe, Jacke usw.
  5. Wir tauschten sie, weil wir sehr ärmlich lebten. Morgens ging ich in die polnische Schule und blieb da bis 12 Uhr. Ich kam dann nach Hause und um 14 Uhr ging ich in die jüdische Schule. Ich lernte in einer chassidischen Schule, mir ist entfallen, wie sie hieß.
  6. Ich ging in den Cheder, ich lernte da sieben Jahre. Abends kamen wir nach Hause, es gab nichts zu essen. Unsere Mutter ging ins jüdische Geschäft, um einen Laib Brot zu kaufen. Sie teilte ihn in neun Teile, auf jede Scheibe kam ein Stückchen Zucker, das war unser Essen. Zum Mittagessen gab es so gut wie gar nichts, weil uns das Geld fehlte. Wenn die Mutter etwas kochte, kaufte sie „Bittermilch“ und machte eine Suppe daraus.
  7. So verlief unser Leben, natürlich bitterarm. Ich sah nichts Gutes, auch meine Geschwister (nicht). Denn wir waren sehr arm. Unser Vater ging ins Geschäft… In unserer Nähe war ein jüdisches Geschäft, wir ließen (die Lebensmittel) eine Woche lang anschreiben, freitags ging er hin und zahlte. Da er Schneider war… An einem Tag bekam er einen Auftrag, am nächsten Tag aber keinen.
  8. . Er ging dann los und suchte eine Arbeit. So verlief unser Leben. Wir lebten am großen Fluss Sola, der bei uns vorbei strömte. Wir verbrachten unsere ganzen Tage da. Freitags musste man etwas zum Schabbat kochen.
  9. Ich ging früh morgens kleine Fische angeln. Ich brachte sie nach Hause und meine Mutter kochte sie zum Schabbat, das war etwas (Besonderes). Wir warteten immer auf diesen Tag, Schabbat, unsere ganze Familie saß zusammen. Wir konnten etwas essen und reden.
  10. Das war ein Fest für uns. Sonst bemerkten wir nichts davon, weil wir den ganzen Tag nicht zu Hause waren. Wir kamen so um 22 Uhr zurück, wir spielten am Fluss Fußball. So verging unsere Kindheit.