Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich ging nicht mehr arbeiten, mein Vater sagte: „Was nun? Wir müssen in die Evakuierung, hier wegfahren.“ Schnell ging das aber nicht. Zwei Wochen später kamen Züge, wir stiegen ein. Die Wagen waren groß, in jedem Wagen 40 Leute. Das waren Viehwaggons, mit Pritschen drin.
  2. Wir nahmen etwas mit, denn wir wussten bereits, was der Krieg bedeutet. Wir wussten nicht, wohin wir fahren, und kamen nach Usbekistan. Wir waren fast einen Monat unterwegs. Das Essen reichte aus für eine Woche. Unterwegs wurden wir bombardiert, wir sahen die Wagen hinten und vorne brennen. Unser Wagen, Gott sei Dank, wurde nicht getroffen.
  3. Wir blieben sehr lange auf dem Abstellgleis stehen, sahen viele Soldaten in den Westen fahren. Wir mussten warten, Vorfahrt hatten nur die Kriegszüge. Wir hatten nichts zu essen. Ich sagte zu den Eltern: „Ich gehe da ins Dorf und frage nach Essen, vielleicht einige Kartoffeln und Brot.“ Ich kam dann zurück, der Zug war bereits weg.
  4. Und ich war kaum 16, wo sollte ich hin? Die Eltern machten sich Sorgen. Erst am zweiten Tag holte ich sie mit einem anderen Zug ein. Dann war ich wieder im Wagen, meine Eltern waren froh: „Wir lassen dich nicht mehr weggehen!“ Drei Tage später hatten wir aber nichts mehr zu essen.
  5. Unser Wagen stand wieder auf dem Abstellgleis. Ohne sie zu fragen, stieg ich gleich aus und ging in ein Dorf, um Essen zu besorgen. Ich bekam da fünf Kartoffeln, etwas Brot usw. Dann komme ich zurück, der Wagen ist wieder weg. Ich sagte mir: „Ich gehe nicht mehr weg.“
  6. Zwei Tage später holte ich meinen Wagen mit einem anderen Zug ein. Sie sagten: „Schluss, wir werden hungern, du gehst aber nicht mehr weg.“ Ich sagte: „Aber was soll ich tun, die Kinder sind hungrig.“ Meine Schwestern waren sechs und acht Jahre alt. Sie sagten: „Wir haben Hunger.“ Ich war innerlich aufgewühlt und dachte: „Ich muss doch Essen besorgen.“
  7. Wir waren über einen Monat unterwegs nach Usbekistan. Wir kamen an der Station Tschartakan an und landeten in Jangikurgan im Kreis Nanamgan, Kolchos Bolschewik. Im Kolchos Bolschewik wurden wir in einer Teestube auf dem Boden untergebracht, denn Betten gibt es ja dort nicht. Wir wohnten lange da, bis zu zwei Monate.
  8. Wir Kinder steckten uns gegenseitig mit Typhus an. Einen Tag später kamen wir ins Krankenhaus, 7 km weiter nach Jangikurgan. Wir wurden dort kahlgeschoren. Zwei Wochen später wurden wir nach Hause geschickt. Etwas später erkrankten wir an Malaria, eine furchtbare Krankheit. Wir waren ganz gelb usw. und kamen wieder ins Krankenhaus. Wir wurden ständig krank, weil wir schwach waren.