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Ich fuhr nach Kiew, das war bereits 1938. Ich kam zu Oma (Shtrum). Es stellte sich aber heraus, dass mein Opa inzwischen gestorben war, er war alt und einige Jahre bettlägerig gewesen. Und einen Monat später starb die Oma. Ich möchte in diesem Interview betonen, dass es in allen totalitären Regimes gute Leute gibt.
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Ich habe (in diesem Fall) die Namen vergessen, weil ich damals nicht begriff, wie wichtig ihre Tat war. (Jedenfalls): Oma starb und in dem Zimmer wohnte ihre ehemalige Hausangestellte, die das Zimmer haben wollte.
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In der Hausverwaltung wurde das Zimmer (aber) auf meinen Namen angemeldet, obwohl ich noch minderjährig war. Ich hatte nicht einmal einen Pass. Als junger Mensch war mir nicht bewusst, wie wichtig das war. Dann wohnte ich in dem Zimmer, zusammen mit dieser mir eigentlich fremden Frau.
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Sie versuchte, mich mit allen möglichen Kleinigkeiten dort zu vertreiben. Mein Onkel, der damals auch in Kiew lebte, arbeitete als Ingenieur beim Kraftwerk. Da war mal eine Turbine defekt, sodass sie abgeschaltet wurde.
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Der Onkel schrieb einen Bericht, dass die Turbine defekt ist. Als Stalin (1936) die Rede über die Verfassung hielt, bekam der Onkel die Anweisung, die Turbine einzuschalten, und sie fing Feuer. Sie löschten den Brand, und als er nach Hause kam, wurde er verhaftet.
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Und meine Tanten begannen ihn zu verteidigen… Da das wirklich passierte – es gab den Brand und seine Berichte – gelang es, ihn zwei Jahre später mit großen Mühen aus Norilsk, wo er arbeitete, zurückzuholen. Daher konnten die Tanten mich nicht (bei sich) aufnehmen.
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Und erneut – sind da gute Leute, die ich nennen möchte: unsere (frühere) Nachbarin in der Gemeinschaftswohnung. Die Zimmer hatte man uns natürlich weggenommen; bei Mamas Verbannung waren alle Sachen beschlagnahmt worden… Das heißt: der Tisch, der Stuhl, der Schrank usw. Und alle Bücher.
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Die Nachbarin, mit deren Tochter ich befreundet war, sagte (dann) zu mir: „Nach der Schule kommst du zu uns und isst bei uns.“ Das war eine große Heldentat, denn alle in der Wohnung wussten, dass ich die Tochter eines „Volksfeindes“ war.
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So lebte ich bis Kriegsausbruch. Das heißt ich wohnte in Großmutters Zimmer zusammen mit einer mir völlig fremden Frau, die Fabrikarbeiterin war. Ich schlief da und zu Mittag aß ich in der Wohnung, wo meine Eltern früher gewohnt hatten. Und ich ging zur Schule.
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Den Kontakt zu Mama verlor ich nicht, wir schrieben uns die ganze Zeit. Ich sah sie aber nicht, reiste nicht zu ihr. Es war sehr schwer, dahin (in den Verbannungsort) zu kommen.
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Da musste man irgendwie von der Eisenbahnstation noch 300 Kilometer bewältigen. Und überhaupt wollte Mama nicht, dass ich dahin komme. Wie mir wesentlich später klar wurde, fürchtete sie, dass es mein künftiges Leben beinträchtigen könnte. Daher sah ich Mama nicht.