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Ich sage Ihnen was: Nach der Ankunft in Dortmund erhielt ich Geld, ging ins Geschäft und kaufte mir ein schönes Kleid und schöne Sachen, da war ich glücklich. Ich hatte nie solche Kleidung wie hier, überhaupt keiner hatte so etwas. Ich ging sofort in die Gemeinde.
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Wohin denn sonst – da sind ja alle russischsprachig. Meine Gemeinde gefällt mir sehr, mir gefallen die Leute, die da arbeiten. Und es kamen bei mir Fähigkeiten zum Vorschein, die ich nicht geahnt hätte. Ich begann Gedichte zu schreiben. Hier habe ich ein Büchlein, darf ich es holen?
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Ich hatte nie Gedichte geschrieben. Ich begann hier zu dichten. Ich kann nicht behaupten, das ist Poesie. Nein, ich schreibe so, wie ich denke. Meine Schüler gaben das kleine Buch für mich heraus, mit meinen besten Gedichten. Es heißt „Auch wir waren irgendwann jung“.
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Hier in der Gemeinde war ich eine Zeitlang Schauspielerin. Eine sehr talentierte Frau hat ein Theaterstudio organisiert und mir angeboten mitzuwirken. Ich war da die Ansagerin und spielte noch die Rolle einer Kalmykin.
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Mein Mann im Stück war ein Kalmyke und ich eine Jüdin. Er wollte nicht nach Deutschland und ich kam doch dahin. Und ich singe, ich begann hier zu singen, zu schauspielern und zu tanzen.
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Hier kamen die Fähigkeiten zum Vorschein, von denen ich keinen Schimmer hatte. Übrigens passierte das sehr vielen Leuten. Sie wanderten in ein anderes Land ein und durch die Fülle der Eindrücke ringsum wurden sie Dichter, Schriftsteller, Journalisten und Maler.
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Neulich stellte einer sehr schöne Bilder aus. Ich fragte: „Sind Sie Maler?“ Er sagte: „Aber nein, ein gewöhnlicher Techniker.“ Ich sagte: „Aber Ihre Bilder sind so schön.“ Er sagte: „Ich weiß es selbst nicht, plötzlich begann ich hier zu malen.“
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So etwas Unglaubliches passierte mit den Leuten, wahrscheinlich unter dem Einfluss dessen, was wir in diesem schönen Land bekommen haben. Ein sehr gutes Land, mir gefällt es hier, obwohl ich meine Heimat nie vergesse. Wir leben hier und interessieren uns doch für das, was dort geschieht und wie die Leute dort leben.
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Leider starb die Frau, die das Theaterstudio organisiert hat. Wir traten drei Jahre lang auf. Unsere Stücke, die sie schrieb, waren ein sehr großer Erfolg. Sie starb mit 55 an Blutkrebs.
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Sie kam schon krank hierher und konnte nicht mehr gerettet werden. So endete meine schauspielerische Tätigkeit, ich war aber nicht ratlos. Später gründete eine Frau vom Theater eine Tanzgruppe, denn sie kann sehr gut tanzen.
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Und ich begann mit dem Tanzen und erinnerte mich daran, dass ich es als Kind gelernt hatte. Außerdem verbrachte ich meine ganze Jugend in Tanzsälen, wo denn sonst. Und wir tanzen schon seit etwa drei Jahren bei allen Abendveranstaltungen.
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Wir traten in anderen Städten auf, in Essen, Bonn und wohl auch in Unna, ich habe das schon vergessen. Und überall haben wir großen Erfolg. Auch im September werden wir auf einem Fest tanzen. Und obwohl ich im hohen Alter bin – ich bin die Älteste – sagt man zu mir: „Verlassen Sie uns nicht, Sie sind ein Vorbild für uns, wir richten uns nach Ihnen.“
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Also, wenn ich weggehe, wird es schlechter. Und ich tanze, obwohl, ehrlich gesagt, meine Beine weh tun. Ich kann aber alle Schwierigkeiten bewältigen.
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Im letzten Jahr beschloss ich, meinen Geburtstag in der Gemeinde zu feiern. Denn er war an einem Donnerstag. Der Donnerstag ist ein sehr guter Tag, da organisiert eine Njussja verschiedene interessante Veranstaltungen.
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Ich dachte: „Warum denn nicht den Geburtstag in der Gemeinde feiern? Sonst muss ich noch ein Jahr bis zum Jubiläum warten, und wer weiß, ob ich es noch erleben werde.“ Und ich las da meine Gedichte, sang und tanzte. Ich weiß noch nicht, vielleicht versuche ich es auch in diesem Jahr.