Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Es wurde Grütze geliefert, und meine Mutter ging um 6 Uhr morgens los, um dafür anzustehen. Mein Vater konnte nach dem Gang für die Lebensmittelkarten nicht mehr aufstehen.
  2. Er lag, ich war in seiner Nähe. Plötzlich ging es ihm schlecht. Ich versuchte ihm zu helfen, soweit mein Kinderverstand das vermochte. Ich machte ein Tuch in einem Eimer mit kaltem Wasser nass und legte es auf seine Brust.
  3. Ich verstand, dass es um sein Herz schlecht steht. Es gab aber keine Besserung. Ich gab ihm Salmiakgeist zu riechen. Er drehte zunächst den Kopf, dann nicht mehr.
  4. Da kam die Mutter, das war nach 17 Uhr. Sie brachte Linsen mit. Ich sagte: „Mama, Vater geht es schlecht.“ Die Mutter sah das, weinte und holte den Nachbarn, den Professor aus der anderen Wohnung. Er sagte: „Schreit und weint nicht, er hört alles.
  5. Lasst ihn in Ruhe sterben.“ So blieben meine Mutter und ich zu zweit. Als Vater starb, versuchte meine Mutter ihn in dem großen Bett in das große Zimmer zu schieben, das nicht beheizt wurde, da war es furchtbar kalt. Sie war aber zu schwach dafür.
  6. Danach kochte sie Linsen. Wir saßen in einer Ecke in diesem kleinen Zimmer, weinten, salzten die Linsenbrühe mit Tränen und aßen sie. Wie tief kann ein Mensch fallen, in welch einen animalischen Zustand: In der Nähe liegt der tote Vater, und wir sitzen da und essen.
  7. In der Nacht schliefen wir in meinem schmalen Bett. Aber was heißt schliefen, wir lagen da. Am Morgen kam die Nachbarin von der Arbeit, Spätschicht. Sie half der Mutter, das Bett in das große Zimmer zu schieben.
  8. Meine Mutter versuchte, ein menschliches Begräbnis zu organisieren, in einem Sarg. Von einem Sarg konnte man aber nur träumen und wir waren gezwungen, den Vater einige Tage später in eine Decke einzunähen und an die Leute zu übergeben, die Leichen einsammelten.