Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich spürte das nie, ich will nichts erdichten. 1953 verteidigte ich schon mein Diplom an der Akademie. Da starb Stalin, und am 9. März verteidigten wir unsere Diplome. In unserer Gruppe waren zwei Juden, ich und noch ein anderer Oberstleutnant. Und wir dachten, wir würden durchfallen. Keiner hatte aber etwas gegen uns, ich wurde regulär zum stellvertretenden Regimentskommandeur in Baku ernannt. Ich habe ein friedliches Gemüt, ich schätze und liebe die Menschen. Ich versuchte immer, den Menschen zu helfen. Daher spürte ich nichts davon, egal wo ich arbeitete, überhaupt nichts. Ich sage, wie es war.
  2. 1952 begann die „Ärzte-Verschwörung“. Glücklicherweise starb Stalin dann. Denn es waren schon 200 Züge und 112 Lager in Sibirien vorbereitet. Am 18. März sollte die Umsiedlung beginnen. Das ist nicht allgemein bekannt, ich weiß das (aber) aus geheimen Unterlagen. Und es war ein Glück, dass die Ärzte gleich freikamen und das Ganze aufhörte.
  3. Allgemein stand es um die Juden immer schlecht, bereits seit 1929. Als die Kollektivierung begann, wurden die Juden schon unterdrückt. Stalin war Antisemit nicht erst seit gestern, er hatte den Antisemitismus im Blut. Schauen Sie, er beseitigte (Solomon) Michoels, 1948 wurden alle jüdischen Schulen und Zeitungen geschlossen. Es gab gar nichts mehr, man wollte die Juden beseitigen. Allgemein stand es mit den Juden immer schlecht.
  4. Vielleicht war es maskiert, schön hatten sie es aber nicht. Ich persönlich spürte das jedoch nicht. Ich weiß aber, was in der Umgebung los war. Meinen Eltern wurde nichts angetan, sie waren arme Leute. Meine Schwester stieg allerdings auf, sie war Instrukteur im Gebietsparteikomitee in Mogiljow. Später wurde sie zur 1. Sekretärin des Kreisparteikomitees in Ciechanowiec ernannt, im Gebiet Bialystok. Sie war die 1. Sekretärin direkt an der Grenze, was nicht so einfach ist.
  5. Eine (bezeichnende) Geschichte: In Baku war der Chef der politischen Verwaltung des Militärbezirkes der Oberst Sub. Er hatte früher Berija in Moskau bewacht, er war Chef der politischen Verwaltung des Moskauer Militärbezirkes gewesen. Einmal wurde diese Frage angesprochen. Ich fragte ihn: „Warum wurden die Zeitungen und Schulen geschlossen, warum wird das einfach beseitigt?“ Er sagte: „Die Theater wurden geschlossen, weil niemand sie besucht hat.“ An der Malaja Bronnaj 2 in Moskau war das Jüdische Theater. Haben Sie von ihm gehört, ja?
  6. Also, er sagte, das Theater hätte niemand besucht. Ich sagte: „Genosse Oberst, ich weiß vom Gegenteil. 1948 war ich zu Besuch bei meinem Verwandten und er hatte Eintrittskarten für drei Stücke gekauft: ‚Die Hexe – Di Kishefmakhern‘, ‚Aufstand im Ghetto‘ und ‚Tewje der Milchmann‘. Wir schauten sie uns an, das Theater war voll. Und Sie sagen…“ Er antwortete: „Was wollen Sie denn, was wollen Sie erreichen?“ Ich verstand, dass ich den Rang verlieren könnte und sagte kein Wort mehr. Ich sagte: „Ich will die Wahrheit. Ich habe ein Beispiel genannt. Warum wurden alle Einrichtungen geschlossen? Warum durfte sich das nicht weiterentwickeln?“ So ein Gespräch hatten wir.