Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Was Interessantes kann ich da erzählen? Wir wurden im Geiste der Treue zur Sowjetmacht erzogen. Wir alle waren Pioniere und Komsomolzen. Wir alle waren treu und fanden, das ist gut so. Ich weiß noch, wie ich als Student am Technikum war… Ich ging 1952 auf das Technikum, im März 1953 war ich am Ende des ersten Studienjahres.
  2. Nach Stalins Tod wurde eine Trauerkundgebung im Technikum einberufen. Und viele Jungs fielen in Ohnmacht, alle dachten: „Was wird nun mit uns?“ Alle sowjetischen Leute dachten: „Was wird mit uns? Wie können wir ohne Stalin leben?“ Aber es ging weiter. Sonst habe ich keine besonderen Erinnerungen.
  3. Ich studierte und nicht schlecht und brachte mein Studium zu Ende. Ehrlich gesagt, ich wollte Arzt werden, aber es kam anders. Mir wurde erstens abgeraten: „Das wird sowieso nicht klappen.“ Und ich ging dann (ans Technikum). Sogar meine Eltern wussten nicht, dass ich die Dokumente im Technikum einreichte und zu studieren begann. Meine jüngere Tochter absolvierte ebenso wie ich zunächst ein Technikum und wollte am Institut für Volkswirtschaft in Kiew studieren.
  4. Sie kam nach Kiew, um ihre Dokumente einzureichen. Jemand von der Aufnahmekommission sagte ihr: „Sie gefallen mir.“ Sie war eine sehr hübsche junge Frau. „Es hat aber keinen Sinn, Sie werden hier sowieso nicht aufgenommen. Versuchen Sie es lieber woanders.“ / Und das hatte wieder mit dem Antisemitismus zu tun? / Das hatte mit dem Antisemitismus zu tun.
  5. Nach der Entlassung aus der Armee fuhr ich nach Lwow, wo ich an das Polytechnische Institut kommen wollte. Ich bestand alle Prüfungen, wurde aber im Wettbewerbsverfahren nicht aufgenommen. Ich ging zum Rektor: „Man hat mich zum regulären Studium nicht zugelassen. Ich bitte darum, mich zum Fernstudium zuzulassen.“ Er sagte: „Ich würde das tun, kann es aber nicht. Gerade in diesem Jahr wurde in Shitomir eine Zweigstelle des Kiewer Polytechnischen Instituts eröffnet. Wegen Ihres Wohnortes müssen Sie sich dort melden.“
  6. Ich fuhr nach Hause und am nächsten Tag nach Shitomir. Ich nahm die Papiere mit, hatte eine Bescheinigung darüber, dass ich (in Lwow) alle Prüfungen bestanden hatte. Ich ging zum Rektor (Dekan) der Zweigstelle und sagte: „So und so, ich möchte studieren.“ Er sagte: „Sehr gut, wir sind im ersten Jahr und haben noch freie Plätze. Wir würden Sie gerne aufnehmen, Sie müssen aber Ihre Dokumente am Polytechnischen Institut in Kiew einreichen. Und die schicken uns die Bestätigung, dass Sie zum Studium zugelassen werden.“
  7. Ich fuhr gleich nach Kiew, zweieinhalb Stunden nach dem Gespräch mit dem Rektor… nein, dem Dekan der Shitomirer Zweigstelle. Ich kam in die Aufnahmekommission (in Kiew) und erklärte die Sache. Einer sagte: „Nein, wir haben keine Plätze mehr.“ Ich sagte: „Wie? Ich hatte doch vor zweieinhalb Stunden mit dem da (in Shitomir) gesprochen.“ Er sagte: „Er weiß nur über seine Stelle Bescheid und ich über das ganze Institut. Die Shitomirer Plätze haben wir anderweitig vergeben. Wir können Sie nicht zulassen.“ Das war einer der Fälle, als ich das (den Antisemitismus) zu spüren bekam.
  8. . Allerdings später – ich sage es ohne prahlen zu wollen –, auf der Arbeit wurde ich immer geschätzt, und das Verhältnis zu mir war sehr gut. Wie schon gesagt, ich arbeitete mit Sträflingen. Sie wussten, dass ich Jude bin; ich verheimlichte das nie. Und mein Vatersname ist zudem Wolf-Gawrielowitsch. In der Strafkolonie waren über 1.000 Leute und alle wussten, dass ich Jude bin. Sogar hinter meinem Rücken wurde nichts in der Art gesagt, also, wenn ich nicht gesehen hätte, wer das sagt. Sogar hinter meinem Rücken sagte keiner „Shid“. Auf der Arbeit nie… Allerdings hörte ich immer wieder diese Bemerkungen: „Diese Shidy…“ Wie Wysozkij sang: „Wenn aus dem Hahn kein Wasser fließt, haben es die ‚Shidy‘ weggetrunken.“