Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Es kam der Tag, als die deutschen und rumänischen Truppen in unsere Stadt einmarschierten. Es war furchtbar, die ganze Zeit wurde geschossen. Nachts konnten wir nicht schlafen, es gab so eine Schießerei, dass wir alle Fenster und Türen zumachten. Trotzdem war es so unruhig, dass man nicht schlafen konnte. Und einige Tage später kam der Befehl…
  2. In Odessa gibt es den Stadtteil Slobodka, er liegt in der Vorstadt. Den Einwohnern in Slobodka wurde befohlen, ein Zimmer frei zu räumen, damit die Juden provisorisch da einziehen. Die Juden wurden einfach aus ihren Wohnungen getrieben, die Sachen – eine Tasche oder so – nahm man auf die Schnelle mit. Ihnen wurde versprochen, sie würden im Ghetto leben und arbeiten.
  3. Es war natürlich schwer, man weinte, nahm die Taschen mit und ging dahin. Irgendwie kam es dazu, dass ich am Tag vor der Vertreibung draußen war. Ich wurde in eine Menschenmenge gestoßen und zum Gefängnis getrieben. Ich war noch nie im Gefängnis gewesen, ich war erschrocken, da gab es mehrere Etagen und Zellen.
  4. Wir wurden auf die Zellen verteilt, je 10 bis 15 Leute, so viele hineinpassten. Wir waren niedergeschlagen und müde – das Gefängnis war weit weg von der Stadt, wir waren einige Stunden gegangen. Wir legten uns hin und schliefen ein. Man hörte Mädchen schreien, sie wurden vergewaltigt, sie heulten. Die Lage war so, dass man sie nicht beschreiben kann.
  5. Am zweiten Tag aber wurden alle Frauen freigelassen. Ich kam nach Hause. Meine Eltern weinten, sie hatten geglaubt, dass ich tot wäre. Und dann wurden auch wir hinausgeworfen und nach Slobodka getrieben. In Slobodka kamen wir in ein Haus, wo sehr anständige Menschen wohnten. Sie hatten Mitleid mit uns und gaben uns zu essen und zu trinken. Alle waren so niedergeschlagen und mitgenommen, dass man nichts wahrnahm und begriff, man saß und wartete auf irgendetwas.
  6. Es kamen Gerüchte auf, dass die ersten Gruppen schon fortgebracht worden wären. Da war eine Filzfabrik, in diese Fabrik wurden die Leute aus den Wohnungen getrieben, eine bestimmte Menge. Es wurde eine Gruppe gebildet, Polizisten führten die Gruppe aus der Stadt. Wohin genau, das wusste man zuerst nicht. Dann kamen die Gerüchte auf, und wir verstanden: Was uns gesagt wird, ist nicht wahr. Kurz gesagt, es sollte der Tag kommen, dass wir auch dahin kamen. Meine Mutter bat ihre jüngere Schwester – sie, ihr Mann und ihre Tochter waren bei uns –, mich aufzunehmen.
  7. Sie sagte ihr: „Ich glaube irgendwie, dass du dich vielleicht retten kannst.“ Sie war eine auffallend schöne Frau. „Und du rettest meine Tochter.“ Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn meine Eltern in meiner Anwesenheit fortgetrieben worden wären. Ich hätte es wohl nicht ausgehalten und wäre mitgegangen. Aber es ergab sich so, dass ich nicht da war, als die Eltern aus dem Haus getrieben wurden.