Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Bereits zwei Monate nach meiner Geburt wurde mein Vater vom NKWD verhaftet. Sie lockten ihn hinterlistig aus dem Haus. Meine Eltern wollten mich gerade an diesem Abend baden. Da rief jemand an, mein Vater sollte angeblich zur Arbeit. Er ging gleich hin und sagte: „Warte auf mich, wir baden das Kind zusammen.“ Und sie sah ihn nie wieder.
  2. Mit großen Schwierigkeiten erfuhr meine Mutter, wo er sich befand. Ihn zu sehen – davon konnte keine Rede sein. Ein NKWD-Mitarbeiter hatte Mitleid mit ihr... Sie lief mit einem Beutel in den Armen herum, das war ich, die mal quengelte, mal weinte. Er sagte: „Mädchen, vergiss deinen deutschen Mann. Nimm dein Kind und fahr weg, so schnell, wie du kannst.“ Sie kam zu ihren Eltern nach Noworossijsk, wo sie ihn kennengelernt und geheiratet hatte.
  3. Übrigens war das eine Doppelhochzeit (gewesen). Sein bester Freund, der Österreicher Toni Trenker, hatte auch eine Russin geheiratet. Meine Mutter hielt sich nicht unbedingt für eine Jüdin. Damals wurden alle nicht national erzogen. Aber die Tatsache, dass Julia Russin war, hatte schon Bedeutung für ihr späteres Leben. Toni konnte sie aus der UdSSR mitnehmen. Mein Vater hätte so was nie riskieren können.
  4. Sie (Julia) stammte aus einer Kaufmannsfamilie. Jede Familie musste damals etwas verheimlichen, auch meine Eltern. Ihre Eltern waren Kaufleute erster Gilde, später sind sie „abgetaucht“. Das war eine kultivierte wohlhabende Familie.