Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Nach dem Zerfall der Sowjetunion entstanden neue Grenzen. Auf dem Weg in meine Heimatstadt Odessa musste ich nun mehrfach den Zoll passieren. Zunächst lachten wir darüber, später nervte uns das. Danach wurde es schlimmer: es gab Kundgebungen der sogenannten „Volksfront“, das waren nationalistische Kundgebungen. Der Nationalismus einer kleinen Nation ist noch widerlicher als der Nationalismus überhaupt.
  2. Wir verstanden, dass wir unser Land verloren hatten, ohne es verlassen zu haben. Wir lebten noch da, das Land war aber weg. Ich spreche nicht vom Staat, der Staat war immer widerlich. Aber das Land ist nicht mehr da, du lebst woanders. Und wenn du die Sprache und so weiter aussuchen kannst... In dieser Zeit war schon einiges möglich.
  3. Damals war ich zum zweiten Mal verheiratet mit Isaak Olschanski, der nie Parteimitglied war und nichts in die Richtung tat. Er wollte auswandern und zwar nach Israel. Ich wollte nicht nach Israel, weil mir das Klima dort absolut nicht liegt. Ich wurde an der Wolga geboren, sogar in Chisinau hatte ich es sehr schwer. Juni und Juli waren ganz schlimme Monate, da waren viele Prüfungen, Vorlesungen und Fernstudenten.
  4. Mir ging es richtig schlecht. Ich hätte dort nicht leben können. Deswegen sagte ich: „Nein, ich gehe nicht dahin.“ Nach einigen Aufenthalten dort wusste ich, dass ich mich richtig entschieden hatte. Dort sind auch Aggressivität und Nationalismus zu spüren, auf beiden Seiten.
  5. Das ist sehr schwer für mich, ich bin anders, ich wuchs anders auf, ich bin anders erzogen – mit der europäischen Kultur. Ich bin tolerant, und das Ganze dort ist nichts für mich. Obwohl ich vielleicht auch einige kämpferische Eigenschaften habe. Mein Mann sagt, das sei deutsche Sturheit. Vielleicht ist das aber jüdische Sturheit, wer weiß.
  6. Ich konnte immer spüren, dass ich Jüdin bin. Man gab mir das immer zu verstehen, wenn es um Auszeichnungen ging. Ich erhielt keinen Orden, keine Medaille, abgesehen von der Auszeichnung nach dem Schulabschluss. Sonst habe ich keine Auszeichnungen von diesem Staat. Meine Mitarbeiter erhielten Auszeichnungen zu den Feiertagen und so weiter, ich aber nie. Ich wurde umgangen und wusste ganz gut warum.