Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich ging zur Schule, unser Leben normalisierte sich allmählich. Der Vater kehrte sehr schnell aus der Evakuierung zurück. Die Wohnungen der Evakuierten waren amtlich verplombt und durften nicht besetzt werden. Aber weil viele Häuser zerstört waren, wurde diese Anordnung nicht beachtet. Die leer stehenden Wohnungen wurden aufgemacht und dort die Bewohner aus den zerstörten Häusern untergebracht; sie mussten ja auch irgendwo wohnen.
  2. Als der Vater zurück kam, wohnte jemand in unseren Zimmern. Er reichte einen entsprechenden Antrag ein und sie wurden woandershin ausgewiesen, weil das unsere Unterkunft war. Er war bei dieser Ausweisung dabei, als sie auszogen.
  3. Er sagte da: „Das und das sind unsere Sachen, nehmen Sie das nicht mit.“ Er zeigte auf die Sachen, die er kannte, das waren größere Sachen. Und einige andere Sachen nahmen sie natürlich mit. Das war aber in Ordnung, denn diese Leute waren geschädigt worden und brauchten Hilfe.
  4. Ihr Haus war zerstört, sie hatten keine Unterkunft usw. Und sie hausten unter harten Bedingungen. So eine Familie wohnte monatelang in unserem Flur, auch nach dem Krieg, bis sie eine Unterkunft bekam. Sie trennten ihren Platz mit einem Vorhang ab und wohnten im Flur, direkt an der Wohnungstür. Das war schrecklich.
  5. Interessant ist aber etwas anderes: Wir hatten eine ziemlich große Bibliothek, wobei Mama viele deutsche Bücher hatte. Wir hatten alte Werkausgaben von Heine und Goethe – auf Deutsch und auch in gotischer Schrift, mit goldenen Buchrücken. Und auch eine Enzyklopädie oder z.B. Bibeln in allen Sprachen: Deutsch, Französisch, Englisch, jede Sprache und das zu Hause.
  6. Und es ist klar, dass die Leute in schweren Zeiten mit diesen Büchern heizten, um zu überleben. Anders ging es nicht. Aber ich denke: Ich würde die Bücher aus einem Regal nach und nach verbrennen, bis das Regal leer ist. Und dann das nächste Regal.
  7. Und da war es so, dass man einzelne Bände willkürlich herauszog und verbrannte. Z.B. Goethe – da fehlten drei Bände, Heine – da fehlten drei Bände, die Enzyklopädie war ganz vereinzelt usw. Ich konnte es nicht verstehen. Nun, d.h. den Leuten war es nicht danach; sie nahmen, was sie ergreifen konnten, und verbrannten es dann.