Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Dann kam eine Frau aus Smolensk (zur Unterkunft), um etwas zu tauschen. Sie sagte zu Sofja Tschurilina: „Ich weiß, das da sind Juden aus Smolensk. Du mit deinem Kind wirst dafür gleich erschossen, jage sie weg.“ Sie (Sonja) sagte dann zu Mama: „Ich will auch leben, geht weg.“ Wohin sollten wir gehen?
  2. Da wohnte eine sehr seltsame Frau am Dorfrand. Sie sah schrecklich aus, war buckelig. Sie lebte in einer kleinen Hütte am Dorfrand. Wir baten sie (um Hilfe), und sie nahm uns auf. Wir schliefen mit ihr zusammen im Hochbett. Um essen zu können, ging meine Schwester betteln, während ich beim Brüderchen blieb. Er war schon sechs Monate und lag da – total abgemagert.
  3. Und einmal sagte jemand, Mama hätte Kontakt zu den Partisanen. Wir wohnten damals in der Hütte. Das war jemand aus dem Dorf, wo es 100 Häuser gab. Mama konnte nähen und bot es den Leuten an, um etwas Brot zu bekommen. Kurz gesagt, eines Nachts kam ein angeblicher Partisan zu uns. Da waren ja dichte Wälder um Brjansk. Also, er war angeblich ein Partisan.
  4. Mama öffnete die Tür und er bat sie um Brot. Mama sagte: „Ich bin Flüchtling mit drei Kindern und habe nichts.“ Er fragte, ob die Deutschen im Dorf sind. Mama sagte Ja, sie waren da stationiert. Er fragte: „Kannst du die Häuser der Polizisten zeigen?“ Mama antwortete: „Ich kann es nicht.“ Sie blickte gleich durch: Er war alleine und fragte nach den Häusern der Polizisten, da stimmte etwas nicht.
  5. Sie sagte: „Nein, kann ich nicht“ und er ging. Am nächsten Morgen in der Frühe ging (meine) Schwester verkohltes Holz holen, um den Ofen zu heizen. Streichhölzer gab es ja nicht. Sie ging mit einer kleinen Schüssel weg. Vor dem Haus fuhr ein Lkw voller Soldaten vor, und der deutsche Offizier sagte auf Russisch: „Matka, sag die Wahrheit.“ Mama wiederholte alles noch mal (zu dem angeblichen Partisanen).
  6. (Meine) Schwester wurde nicht zu uns durchgelassen und sah uns (von Weitem) an. Wir wurden dann draußen an die Wand gestellt – zur Erschießung. Mama hielt den Bruder und mich an der Hand und sagte: „Das ist unsere letzte Minute.“ In dem Moment schlug der deutsche Offizier Mama mit der Pistole auf den Kopf und sagte auf Russisch: „Kommt das noch mal vor, bringen wir euch auf der Stelle um!“ Dann fuhren sie ab.
  7. Am selben Tag kam eine Frau zu uns, während Mama gerade nicht im Haus war. Aber es war (noch) am selben Tag. Ohne ein Wort zu sagen, nahm die Frau meinen Bruder auf den Arm. Sie war damals 27, wie wir später erfuhren. Sie nahm mich und die Schwester mit und sagte: „Ihr werdet jetzt bei mir wohnen.“ Sie führte uns zu ihrem Haus.
  8. Und zweieinhalb Jahre lang erzählte sie allen: „Die ist zu mir gekommen, sie wusste nicht (wohin)…“ Sie gab vor, Mama sei die Frau eines Cousins von ihr – „das sind meine Verwandten“. Und wir wohnten nun bei Tante Dunja als ihre Verwandten, zweieinhalb schreckliche Jahre lang.