Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich lebte auch im Einklang mit der Umgebung. Bis zum Alter von 4 Jahren hatte ich lange blonde Haare bis zum Po, weil ich sie nicht schneiden ließ. Eine junge Nachbarin, sie war wohl so 17, konnte aber gut mit mir umgehen. Sie schnitt als Erste meine Haare. Ich nahm die Haare später mit in die Evakuierung.
  2. Mit 5 Jahren ging ich in den rumänischen Kindergarten. Und mit 5 Jahren konnte ich schon drei Sprachen. Russisch, weil ich russische Freunde hatte. Ich konnte Jiddisch und Rumänisch, denn der Kindergarten war rumänisch.
  3. Wir lebten sehr arm, was noch untertrieben ist. Denn es gab Tage, da hatten wir nichts zu essen. Meine Schuhe waren löchrig, obwohl mein Vater Schuster war. Ich erzähle später über meinen Vater, das ist auch ein schwieriges Problem. Das ist eines der Probleme, die mein Leben negativ beeinflusst haben.
  4. Aber ich war ein sehr neugieriger Junge, ich lernte immer schnell, z.B. Sprachen. Mit 6 Jahren konnte ich schon lesen. Ich lernte so: Russisches A ist wie rumänisches A, russisches W ist wie rumänisches B und so weiter. So brachte ich es mir selbst bei, niemand zwang mich dazu.
  5. Im Kindergarten saugte ich alles auf, was mir gezeigt wurde: Lieder, Tänze. Dieses Lied zum Beispiel – das kenne ich aus dem Kindergarten. Ja, es gab noch ein Lied – das ist Rumänisch.
  6. Was mir Gott gegeben hat, das ist Neugier, Interesse an den Leuten, an Sachen und Tieren und Sprachen. Von meinem Vater erbte ich seine positiven Eigenschaften, er hatte ja nicht nur eine negative Seite, denn jeder Mensch hat ja beides. Aber auch von meiner Mutter erbte ich etwas…
  7. Über meinen Vater erzähle ich gleich, es gibt auch einige Fotos zu zeigen. Meine Mutter war eine Analphabetin. Sie waren fünf Kinder, meine Großmutter war mit 35 Jahren sehr früh verwitwet. Sie musste ihre Kinder bei den Verwandten in den Dörfern unterbringen. Die Kinder machten dort folgende Arbeiten: auf die Babys aufpassen, Kuh- und Ziegenstall reinigen und so weiter.
  8. Und so lebte sie (meine Mutter), bis sie 17 war. Mein Vater hatte es ganz anders, ich zeige bald die Fotos. Sie war ein sehr weiser Mensch, das habe ich bereits damals als Kind begriffen. Aber ich begriff es noch mehr, als ich erwachsen und dann alt wurde. Wenn ich etwas in mir Gutes und Weises habe… Manche witzeln und nennen mich Rabbi, weil ich immer schlichte und immer versöhnlich eingestellt bin. Das alles habe ich von meiner Mutter.
  9. Ich war der Jüngste. Man witzelte sogar und nannte mich den „Ausgekratzten“.