Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Im Mai war ich mit der Schule fertig, ich war gerade zehneinhalb Jahre alt. Ich ging dann (in die Lehre) und erhielt keinen Lohn. Umgekehrt, manche mussten selbst Geld zahlen, um den Beruf zu erlernen. Und mir fiel die dreckigste Arbeit zu: Bügeleisen… Da wurde ständig gebügelt, die Bügeleisen wurden mit Kohle heiß gemacht.
  2. Ich war zehneinhalb Jahre alt und musste sie so schwenken, damit die Kohle glüht. Ich bereitete einem Meister das Bügeleisen vor, während der andere sagte: „Jetzt mach mal eines auch für mich.“ So musste ich mich den ganzen Tag damit beschäftigen. Ich wollte aber eine Ausbildung machen, ich schaute mir die Arbeit an.
  3. Und dann bemerkte der Schneider, dass ich langsam soweit bin. Er befreite mich nicht von den Bügeleisen, gab mir aber (eine andere Arbeit). Außerdem hatte ich noch eine Pflicht: den Gesellen das Frühstück zu bringen. Unsere Werkstatt lag in der Innenstadt, da war auch ein Wurstgeschäft.
  4. Das Wurstende wurde damals nicht verkauft, die Kunden bekamen nur den mittleren Teil. Und die Reste wurden gesammelt und dann für den halben Preis oder noch billiger verkauft. Man schickte mich gerade in dieser Zeit los, es zu kaufen.
  5. Oder auch Würste zu kaufen. Ich war aber ein Kind und vergaß so manches. Nehmen wir mal an, Sie wollten so eine Wurst, ich kaufte aber eine andere. Das kam vor, ich wurde gleich deswegen geschlagen.
  6. Ich arbeitete da ungefähr anderthalb Jahre, dann merkte ich, dass ich einiges kann. Ich sagte, ich gehe. Damals war keine Kündigung notwendig. Sie waren geschockt, weil ich schon viel für sie machte. Ich ging zu einem anderen Chef, der bezahlte mich und schätzte mich irgendwie. Bei ihm arbeitete ich bis 1940.
  7. Die Sache war die: Als ich begann, als Schneider zu arbeiten, träumte ich… Bei uns gab eine große Firma, ich habe Madame Reuter schon davon erzählt. Das war „Kavalier Chic“, eine bekannte Firma. Ich träumte: Wenn ich erwachsen werde und den Beruf erlerne…
  8. Er war ein reicher Mann, er nähte für die Reichsten, er war einer der besten. Sie verkauften Stoffe und schnitten die Kleidung zu, sie machten alles. Er hatte viele Schneider, er selbst war so etwas wie ein Modedesigner. Das war mein Traum, wie Kavalier Chic zu werden.
  9. In Bessarabien war es sehr schwer, eine Arbeit zu finden. Man zog nach Rumänien, nach Bukarest, Iasi und in andere Städte.
  10. Meine Schwester fuhr auch weg, sie war eine hochqualifizierte Schneiderin. Sie arbeitete dann in einer Werkstatt in Bukarest, die das diplomatische Korps bekleidete. Sie lebte dort gut im Gegensatz zu uns.
  11. Und in der Sowjetzeit… Sie kam dann zurück und nähte für alle Frauen der „Parteigenossen“.