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Aber wissen Sie, ich war überall beliebt, ich war überall willkommen. Und eines Tages… Ich hatte keine Bücher, obwohl ich lesen konnte. Mein erstes Buch fand ich im Schrank, mein Vater las es. Das war eine Liebesgeschichte, und ich war sechs Jahre alt! Ich (las) das Buch, nicht weil ich mich für die Liebe, sondern für die Buchstaben interessierte. Ich wollte lesen, hatte aber keine Bücher. Was tat ich dann: Ich lief ins Stadtzentrum und blickte in die Schaufenster der Buchhandlungen. Ich las alle Buchtitel nacheinander.
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Eines Tages im Januar… Das war um meinen Geburtstag herum, es war kalt, ich trug meinen alten Mantel und kaputte (Schuhe). Ich trippelte auf dem Boden, um warm zu werden. Und da kam wohl ein Ehepaar. Später erfuhr ich, er war der Anwalt Marder. Er kam zu mir und fragte: „Was machst du hier, Junge?“ Ich sagte, dass ich lese. „Kannst du denn lesen?“ Ich sagte: „Ja.“ – „Dann lies mir etwas vor!“ Ich tat es. Er fragte, wie alt ich sei. Ich sagte: „Sechs Jahre.“ Er fragte: „Hast du Bücher zu Hause?“ Ich sagte: „Nein.“
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Das war an einem Sonntag, das weiß ich noch genau. Da war so ein Gitter, auf der anderen Seite saß ein bärtiger Wärter oder ein Lipowaner, wie wir sagten. Lipowaner, das sind Altgläubige. Also, er saß dort. Es kam dann die Frage: „Welche Bücher magst du?“ Ich kann mich da an ein Buch erinnern: „Gullivers Reise nach Liliput“, natürlich auf Rumänisch.
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Ich nannte die Bücher und er stellte eine Bücherliste zusammen. Er notierte meine Adresse und gab sie dem Wächter. Er sagte zu ihm: „Gib das deinem Chef, er möge die Bücher an die Adresse schicken.“ Er war ein stadtbekannter Mann, von Bezahlung war nicht die Rede, das verstand sich von selbst.
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Zwei Tage später fuhr eine Kutsche vor, darin saß der erste Verkäufer der Buchhandlung mit zwei Stapeln Bücher. Er kam in unsere arme Gegend. Und die ganze Straße guckte zu: „Zu Olschanskis ist eine Kutsche gekommen, Bücher wurden geliefert!“ Da gab es keine Geheimnisse, die Straße bekam alles mit.
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Einige Tage später kam er selbst, er war alleine, ohne Frau. Er sprach mit meiner Familie und sagte, dass er mich adoptieren wolle. Damals war es aber so: Wie kann man nur ein Kind abgeben, das ist eine Schande! Es war peinlich, wenn die Leute darüber klatschten.
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Das war damals sehr wichtig. Und sie lehnten ab. Er sagte dann: „Gut, ich adoptiere ihn nicht. Aber lassen Sie ihn zu mir, ich sorge für seine Bildung. Ich schicke ihn aufs Gymnasium.“ Denn für das Gymnasium musste man Geld zahlen, nur die Grundschule war für alle zugänglich. Dabei war das eine Pfarrschule, ich ging in so eine Schule.
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Er sagte noch: „Ich schicke ihn zum Studium an die Sorbonne.“ Sie hatten keine Kinder. Bei uns versuchten die Reichen immer, den Armen zu helfen. Auf welche Weise, das ist eine andere Frage. Sehr viele arme Kinder studierten jedenfalls in Frankreich, der Tschechoslowakei oder in Berlin.
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Dann ging ich schon mit 6 Jahren zur Schule. Ich war ein armer Junge, und alle meine Freunde waren reich. Natürlich bastelten wir etwas und zwar im Keller, da war es warm. In diesem Keller hingen zwei oder drei riesengroße Schinken…
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Da waren zehn Fässer mit Kohl, eingelegten Äpfeln und Wassermelonen… Da gab es alles. Sie waren so reich, dass sie beim Einkaufen nicht gleich bezahlen mussten. Sie kamen in ein Geschäft und nahmen etwas mit. Am Monatsende kam dann eine Rechnung, sie war immer korrekt.
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Denn Betrüger verloren gleich ihre Kundschaft. Und sie bezahlten dann auf einmal, weil sie sehr reiche Leute waren. So führte ich zwei Leben: eines zu Hause und das andere im fremden Haus.