Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Dann kam 1939. Wir wohnten (damals) in Woroschilowgrad, meine Eltern arbeiteten und waren gute Spezialisten. Sie hatten zwei Kinder: mich und Witalij, zwei Jahre älter als ich. 1939 haben – so sagt man heute – unsere Truppen das Baltikum besetzt. Mein Vater bat darum, seine Verwandten besuchen zu dürfen, die er seit 25 Jahren nicht gesehen hatte.
  2. Er reichte relativ schnell (die Unterlagen) ein. Sein Lebenslauf usw. wurde vom KGB (NKWD) überprüft und er erhielt (schließlich) einen Passierschein. Wir stiegen in den Zug ein, er nahm mich und meinen Bruder mit. Wir fuhren mit dem Zug Donezk–Moskau. Weiter ging es Moskau–Vilnius. Wir kamen am 15. Juni 1941 an, fünf Tage vor Kriegsausbruch.
  3. Ich kann mich daran erinnern, ich war 14 Jahre alt. Auf dem Gleis standen eine Menge Leute: neun Geschwister. Onkel Jakow wollte mit seiner Familie auch dahin kommen. Meine Mutter wollte Urlaub nehmen und dahin kommen. Alle Punskiys wollten sich da treffen. Die (Groß-)Eltern waren schon tot. Aber alle ihre Kinder und Enkel kamen, um uns aus der Sowjetunion zu empfangen. Dann besuchten sie uns bei dem Onkel Isaak, wo wir wohnten. Das dauerte vier Tage.
  4. Was fiel mir damals auf? Wir waren in Moskau gewesen, in der Hauptstadt. Aber als wir nach Vilnius kamen, waren wir über die Sauberkeit und Ordnung verwundert. Ich ging mit meinen Cousinen (durch die Stadt), die jünger als ich waren. Eine war aus der Familie, wo wir wohnten, die andere war ihre Freundin Julja.
  5. Sie war (die Tochter) einer Schwester, die übrigens überlebte. Wir gingen in ein Geschäft hinein, da wurde Polnisch und Litauisch gesprochen. Man fragte sie, wer mit ihnen zusammen sei, sie sagten: der Bruder. Alle kannten die Familie Punskiy, die ihr ganzes Leben da lebte. Man wusste, dass das eine Großfamilie ist.
  6. Und wenn die Verkäufer auf Russisch angesprochen wurden, da waren auch Frauen sowjetischer Offiziere, gaben sie schlichtweg keine Antwort. Meine Cousine (hingegen) sprach Litauisch oder Polnisch, ich konnte es damals nicht unterscheiden, und sie (die Verkäufer) sagten: „Bitte herein, schauen Sie sich um...“ Ich sah den Unterschied zwischen dem Leben im Baltikum, das als halbeuropäisch galt, und dem Leben in der Sowjetunion.