Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Dass wir Juden sind, war uns bewusst, und keiner versuchte dies zu leugnen oder das Judentum zu verlassen. Davon konnte keine Rede sein. Alle Freunde meiner Eltern waren jüdisch, wir lebten immer im jüdischen Milieu. Das war typisch für Lettland: Die Letten waren unter sich, die Deutschen und Russen ebenso. Was wusste ich über das Judentum? Fast nichts.
  2. In all diesen Jahren war ich nie in der Synagoge. Jüdische Feste: Wir feierten Pessach. Am Seder, dem ersten Abend, versammelten wir uns um den Tisch, das Essen war, wie es sein sollte. Aber ein religiöser Inhalt fehlte. Als ich noch ganz klein war, besuchten wir den Großvater, der Seder war da nach allen Vorschriften.
  3. Ich stellte sogar die „vier kasches“ (vier Fragen): „Ma nischtana halajla hase mikol halejlot?“ („Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten?“). Das weiß ich immer noch genau. Ich stahl Afikoman (Matze), alles war nach den Vorschriften. Aber das ging verloren, als die Großeltern nicht mehr da waren.
  4. Ich weiß noch, an einem Seder nahm mein Vater die Haggada, las die zwei ersten Sätze, legte sie beiseite und sagte: „Genug, lasst uns essen.“ Das Essen war aber, wie es sein sollte, typische jüdische Seder-Gerichte. Aber es gab keinen (religiösen) Inhalt. Ich weiß noch: Da ich in der deutschen Umgebung aufwuchs, betete ich abends und sprach das Vaterunser. Außerdem sang ich alle deutschen Weihnachtslieder, die ich immer noch kenne. So war das Leben.