Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Was mit den Juden geschehen war, darüber hatten wir natürlich keine offiziellen Informationen. Stets hieß es: Sowjetmenschen sind ermordet worden. Inoffiziell wussten wir aber viel. Ich habe schon über Elga Burstein gesprochen, die aus dem KZ Stutthof zurückkam und uns viel erzählte.
  2. Und weiter: Seit meinen Schuljahren kannte ich Gawriil Optiwen, sein Vater war auch Arzt. Seine Familie wurde ermordet, er und sein Freund konnten in einem Dorf überleben. Der Freund wurde dann aber festgenommen und ihm war klar, dass er das nächste Opfer sein wird. Er flüchtete und schaffte es, durch fast ganz Lettland zu laufen und irgendwie nach Deutschland zu kommen.
  3. Dann ging er durch ganz Deutschland. Er konnte sehr gut Deutsch und sah durchaus deutsch aus. Er ging durch ganz Deutschland und passierte die Grenze zur Schweiz. Er hatte dort Verwandtschaft, die ihm natürlich half zu überleben.
  4. Er hatte seine Liebe im Ghetto in Riga zurückgelassen und wusste nicht, dass sie umgekommen war. So kehrte er nach Riga zurück und erschien dann eines Tages bei uns zu Hause. Also erfuhren wir durch ihn davon. Auch andere Leute kehrten aus den KZs zurück, wir wussten davon. Aber man sprach darüber nur im Familien- und Freundeskreis, sonst mit keinem. Das Thema war tabu.
  5. Bald nach Kriegsende lud ein sehr bekannter Professor mich zu sich ein, Max Schatz-Anin. Sie kennen den Namen nicht, aber die ältere Generation kennt ihn, denn er war ein prominenter Gelehrter noch vor der Revolution. Er lud mich zusammen mit anderen jüdischen Kulturschaffenden ein. Wir saßen am Tisch und er sagte, warum er uns eingeladen habe.
  6. Wir wussten, dass Juden unter deutscher Besatzung umgekommen waren, aber wie und warum das so war, davon wussten wir nichts. Nun sollte das erforscht werden. Alle sagten: „Natürlich, wir müssen das tun!“ Wir vereinbarten, uns später wieder zu treffen und die Aufgaben zu verteilen. Als ich nach Hause kam und davon meinem Vater erzählte, sagte er: „Setze keinen Fuß über seine Schwelle!“ Und er hatte vollkommen recht, alle wurden kurz danach verhaftet.