Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Mein Bruder ging 1942 mit 15 in der Fabrik arbeiten. Er machte eine Ausbildung als Nähmaschinenmechaniker und konnte das gut. Er verdiente Geld und arbeitete wie die Erwachsenen zwölf Stunden. Die kleinen Kinder gingen in den Kindergarten, immerhin gab es einen. Ich habe (noch) ein kleines Foto, das mein Bruder aus der Zeitung ausschnitt: „So gut haben es die Kinder der Frontsoldaten.“
  2. Meine Mutter war Invalidin wegen ihrer Krankheit, sie hatte vor dem Krieg Malaria gehabt und nahm viele Arzneien, die das Herz belasteten. Solange ich denken kann, war sie Invalidin mit einer schweren Herzerkrankung. Deswegen arbeitete sie nicht den vollen Tag, machte den Haushalt und kochte für uns. Insgesamt waren wir aber uns selbst überlassen. Wir liefen über Müllhaufen, sammelten und aßen Pflanzensamen, die da wuchsen…
  3. Gegenüber war ein Stadion, wir kletterten mal über die Mauer dahin. Keiner gab uns Kohle oder Brennholz, so sammelten wir Kamel- und Pferdemist. Wir Kinder sammelten das mit einem Eimer in der Stadt. Danach mischten wir (den Mist) mit Lehm, formten ihn mit einer Schüssel und stapelten ihn. So konnten wir im Winter heizen, denn das Klima war da streng kontinental. Ich hätte schon früher auf die Schule gehen können, soweit war ich schon.
  4. Aber 1942 wurde (erstmal) mein Cousin eingeschult, ich 1943. Denn die Familie wollte nicht gleich zwei Schüler haben. Dort bekam man Lebensmittelrationen und sie waren natürlich furchtbar knapp. In der Nähe unserer Baracke gab es eine Kneipe mit Bierausschank, deretwegen ich mich damals sehr schämte. Die Kirgisen kamen auf Kamelen dahin, saßen direkt auf dem Boden und kauften Bier.
  5. Da kein Geschirr da war, liehen wir ihnen Eimer und Einweggläser. Sie tranken Bier daraus und zahlten uns etwas dafür. Ich stritt furchtbar mit meiner Mutter (und sagte): „Ich gehe da nicht hin!“ Meine Mutter war aber sehr streng und zwang mich dazu. Denn ich war besser organisiert als die Jungs. Nachher gab sie mir Geld für Sonnenblumenkerne, die eine Köstlichkeit waren. Wenn wir etwas trockene Wurst bekamen, schnitt sie sie, um die Wurst auch zu verkaufen.
  6. Wir kriegten nichts davon. Es war kein Zucker da, Kompott wurde aus Zuckerrüben gekocht, was scheußlich schmeckte. Obst, Dörrobst gab es immerhin. … In unserer Nähe war ein Park, der den Namen der Panfilow-Leute trug, die (1941 bei Abwehrkämpfen) bei Moskau eine Heldentat vollbracht hatten. Die meisten von denen stammten aus Frunse. Es gab ein Loch in der Umzäunung des Parks, wir krochen da herum und machten, was uns gefiel.