Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Meine Mama sagte mir immer dasselbe: „Du musst gut lernen, um die Hochschulbildung zu erlangen.“ Bei mir lief es (aber) nicht immer glatt… Ich war eine gute Schülerin, vor allem in den höheren Klassen. Ich hatte nie nur die besten Noten, war aber gut. Nach der 7. Klasse ging ich auf ein Technikum. Ich träumte aber davon, wie mein Vater Physik und Mathe zu lehren. So ein Technikum gab es nicht, so ging ich auf ein beliebiges. Ich bat Mama dann: „Ich will nicht am Technikum studieren, sondern (weiter) die Schule besuchen.“
  2. Ich holte meine Unterlagen im Technikum ab, obwohl da sehr viele Mitbewerber gewesen waren. Mama machte einen Skandal daraus, denn sie hatte nicht erwartet, dass ich das tun könnte. Ich gab mir dann mit dem Lernen bewusst Mühe, ich wollte Lehrerin für Mathe werden, Physik fiel mir schwerer. Nach dem Schulabschluss, als ich schon klüger war, begriff ich aber, dass ich es mit meinen Voraussetzungen nicht schaffen würde an die Uni zu kommen.
  3. Ich nahm an einem Wettbewerb teil, um meine Mathekenntnisse zu testen; ich konnte nur zwei von fünf Aufgaben lösen. Der Onkel gab mir einen Ratschlag… Ich fragte: „Was soll ich tun? Ich muss unbedingt studieren. Denn ich habe ja das Technikum aufgegeben, ich hätte bereits einen Beruf haben können.“ Die Verantwortung war groß. Und er empfahl mir, Chemie zu studieren. Ich wurde am Polytechnischen Institut aufgenommen und Chemikerin. Ich bereute das nie.
  4. Ich wurde, wie man sagen kann, gleich am Institut immatrikuliert. Allerdings wollten nicht viele damals Chemie studieren. Ich bestand die Aufnahmeprüfungen und bekam in Physik sogar eine Zwei. Ich war gut im Unterricht. Jedoch ging es mir im ersten Studienjahr furchtbar. In der Gruppe waren die meisten vom Land.
  5. In der Schule hatte ich nichts gespürt, und hier gab es einen schrecklichen Antisemitismus. Ich war angespannt wie eine Feder. Bei den allgemeinen Vorlesungen waren viele da, was es leichter machte. Im ersten Studienjahr hatte ich es aber sehr schwer. Dann sah die Gruppe: Ich studiere nicht schlecht und kann ihnen helfen. Man sagte mir, ich sähe nicht wie eine Jüdin aus. Kurz gesagt, die Gruppe akzeptierte mich und alles wurde „gut“.
  6. Die Gruppenälteste, die schrecklichste Antisemitin, besuchte mich sogar zu Hause und sagte: „Ich werde alles nur mit dir zusammen lernen.“ Sie jagte meine andere Freundin weg. Solange wir die allgemeinen Kurse machten, paukte ich ihr jedes Fach ein – Mechanik, Mathe usw. Dank dieser Galina Scheremet hatte ich die besten Noten bei den Prüfungen. Da ich es ihr erklären musste, wusste ich es selbst genau. Die zweite Studienhälfte studierte ich gut. Wir hatte keine gute Kleidung, waren aber alle zufrieden.