Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Politisch war ich immer etwas eine Dissidentin. Junge Frauen sagten sogar zu mir: „Bella Borissowna, Sie werden verhaftet. Sie sagen da so etwas…“ Die Zeiten waren da aber schon anders. In der Stalinzeit wäre ich vielleicht einkassiert worden. Denn ich redete ziemlich wagemutig. Auf der Arbeit versuchten wir aber unser Bestes zu geben. Meine Arbeit war so, dass mich niemand vertreten konnte; wenn ich nicht da war, konnte keiner solche Fragen beantworten
  2. Ich verdiente einiges, wir waren aber anspruchslose Menschen, nicht an schicke Sachen gewöhnt, alles war normal. Später konnte ich sehr gut verdienen. Ich beschäftigte mich mit Sachen, die sonst fast keiner machte: Ich war Chemikerin und nebenbei setzte ich die Normen für die Wasserzufuhr und den -abfluss in allen Werken.
  3. Als meine Tochter aber weg war, war ich nicht mehr imstande da zu bleiben. Ich sagte: „Egal wohin, wir gehen und basta.“ Ich weiß nicht, ob man das politische Gründe nennen kann. Aus politischen Gründen wäre ich früher gegangen. Mein Bruder war aber damals beim Militär. Wenn ich mit der ersten Welle gegangen wäre…
  4. Ich sagte meiner Tochter (damals): „Du bist noch Schülerin, lass uns gehen“ – „Nein, du wirst deinem Bruder Ärger bereiten. Er ist Kommunist in der Armee, das geht nicht.“ Überhaupt fand meine Tochter, dass wir im Westen nicht wettbewerbsfähig seien: „Wir können nicht so arbeiten wie die.“ Es stellte sich heraus, dass wir es wohl können. So kann ich auf die Frage antworten. Ich ging damals nicht aus wirtschaftlichen Gründen.
  5. Ich hatte sehr viele Aufträge, ich arbeitete Tag und Nacht, verdiente aber auch sehr gut und hätte da weiterleben können. Aber die ganzen Umstände… Ich wurde sogar gefragt: „Warum gehen Sie? Sie haben hier doch alles.“ Ich entgegnete: „Ich kann nicht mehr.“