Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Die Mutter (Iossifs) fälschte die Papiere, sie konnte gut malen. Sie zeichnete einen deutschen Stempel und damit hatten sie Ausweise: Danach waren sie karäische Juden. Sie hatte die Idee, in das Frontgebiet zu gehen. Die deutschen Soldaten fragten da nicht, ob sie Juden sind, ihnen war es egal. Nur die Gestapo und die Sonderkommandos…
  2. Tagsüber saßen sie irgendwo und gingen nachts durch das Frontgebiet. Sie konnten ab und zu in den Bauernhütten schlafen. In einer Hütte schlief Shenja sogar auf dem Ofen. Seine warme Mütze fiel nach unten. Als er erwachte, war die Mütze viel leichter. In der Mütze waren die Goldmünzen der Mutter eingenäht gewesen. Und als jemand die Mütze fand…
  3. Sie gingen aber schweigend weg. Mein Mann kam dann ins Gespräch mit dem Schmied in einem Dorf. Der sagte: „Ich kann alles schmieden, aber keine Kreuze für meine Familie.“ Und Shenja machte Kreuze aus Münzen für seine ganze Familie. Der Schmied schenkte ihm Werkzeuge, und er ging durch die Dörfer und machte Kreuze, die gegen Essen eingetauscht wurden.
  4. Er konnte sich sogar an einen (deutschen) Soldaten erinnern, der die Gedichte von Puschkin kannte und Schmetterlinge sammelte. Er erzählte Gutes über sie; sie gaben ihm manchmal Schokolade und solche Sachen.
  5. Sie (die Mutter und ihre beiden Söhne) gingen zu Fuß (weiter) und kamen in den Nordkaukasus, in das Dorf Wyssozkoje. Das war schon im Vorgebirge, wo die Soldaten nicht ständig stationiert waren. Merkwürdigerweise gab es dort einen Kolchosvorsitzenden und den Lenin- und Stalin-Kolchos. Er nahm sie auf und sagte, die Mutter solle Brot backen und ein Junge solle die Ochsen treiben. Er brauchte Leute. Sie blieben da.
  6. Da waren auch einige Offiziere, die aus der (deutschen) Kriegsgefangenschaft geflohen waren. Und ein Aserbaidschaner sagte gleich: „Wenn die Deutschen kommen, verrate ich euch.“ Die Mutter beschwerte sich bei den Offizieren, und die nahmen ihn sich so vor, dass er in die Knie ging und darum bat, ihn leben zu lassen. Sie blieben in Wyssozkoje, bis die Deutschen den Nordkaukasus frei geräumt hatten. D.h., sie waren (während der Flucht) zu Fuß etwa 1.200 Kilometer gegangen.