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1772 |
Durch die erste polnische Teilung fallen große Teile Polens mit seiner jüdischen Bevölkerung an das Russische Reich, das gegenüber Juden bisher auf eine Politik der Ausgrenzung und Vertreibung gesetzt hatte. |
1791, 1795 |
Zarin Katharina II. verfügt, dass sich Juden nur noch in bestimmten Gebieten im Westen des Russischen Reiches niederlassen dürfen. In diesen Gebieten lebt die große Mehrzahl der jüdischen Bevölkerung. |
1804 |
Das erste Jüdische Statut regelt die rechtliche Eingliederung der Juden in den russischen Staat; es ermöglicht die Religionsausübung, sieht für Juden den Besuch russischer Schulen und die Einrichtung eigener ländlicher Siedlungen vor, stellt aber auch die Ausweisung jüdischer Gewerbetreibender aus den Dörfern in Aussicht. |
1825–1855 |
Unter der Regentschaft Nikolaus’ I. werden die Bestimmungen gegen Juden verschärft (Militärdienstpflicht für jüdische Jungen, Sondersteuern für „unproduktive Juden“, Schaffung eines staatlich kontrollierten jüdischen Schulwesens) |
1835 |
Endgültige Festlegung des jüdischen „Ansiedlungsrayons“ im Westen Russlands zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer |
1859–1865 |
Als „nützlich“ eingestufte Juden (Kaufleute, Hochschulabsolventen, Handwerker, medizinisches Personal) erhalten unter Zar Alexander II. die Genehmigung zur Niederlassung außerhalb des „Ansiedlungsrayons“ |
1870er-Jahre |
Verstärkte Stimmungsmache von Nationalisten und Slawophilen gegen den angeblich wachsenden Einfluss der Juden auf die russische Gesellschaft |
1881–1882 |
Nach einem tödlichen Attentat auf Zar Alexander II. entwickeln sich in Russland und der Ukraine antisemitische Pogrome. Sie kosten zahlreichen Jüdinnen und Juden das Leben und veranlassen viele zur Auswanderung vor allem in die USA und nach Westeuropa. Unter Alexander III. (1881-1894) werden neue antijüdische Bestimmungen erlassen. |
1891 |
Beginn der systematischen Vertreibung der Juden aus Moskau |
1894 |
Fortsetzung der judenfeindlichen Politik unter Zar Nikolaus II.; verstärkte antisemitische Stimmungsmache der Presse |
1897 |
Gründung des Allgemeinen jüdischen Arbeiterbundes („Der Bund“) in Vilnius |
1897–1907 |
Entstehung der Poale Zion („Arbeiter Zions“) als jüdische Arbeiterpartei mit marxistisch-zionistischer Orientierung |
1903–1905 |
Neue antijüdische Pogromwelle, die zahlreiche Opfer fordert Veröffentlichung der auf Fälschungen beruhenden antisemitischen Publikation „Die Protokolle der Weisen von Zion“ durch rechtsgerichtete Kreise |
1905 |
Revolutionsbewegung in Russland; aufgrund anhaltender Pogrome wieder verstärkte Auswanderungsbewegung |
1914 |
Beginn des Ersten Weltkrieges, in dessen Verlauf das Deutsche Reich Teile Russlands besetzt |
1917 |
Zar Nikolaus II. dankt ab („Februarevolution“). Bildung einer provisorischen Regierung mit sozialistischen und liberalen Kräften. Sie hebt sämtliche Restriktionen gegen Juden auf und eröffnet ihnen die Möglichkeit, im Staatsapparat, dem Rechtswesen und der Armee aufzusteigen Sturz der provisorischen Regierung durch die Bolschewiki („Oktoberrevolution“), neue Regierung unter Führung Lenins |
1918 |
Friedensvertrag von Brest-Litowsk zwischen den Mittelmächten unter Führung Deutschlands und Russland. Sowjetrussland verzichtet auf Polen, Litauen und Teile Lettlands, die Ukraine und Finnland werden (vorübergehend) als selbständig anerkannt Moskau wird Regierungssitz anstelle Petrograds, des früheren St. Petersburgs |
1918–1921 |
Bürgerkrieg zwischen den Bolschewiki („Rote“) und verschiedenen antibolschewistischen Kräften („Weiße“), durch nationale Aufstände verstärkt. In Russland und der Ukraine kommt es zu zahlreichen Pogromen und Mordaktionen nationalistischer Verbände, darunter die Truppen des ukrainischen Armeeführers Simon Petljura |
1921 |
Übergang zur Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) nach der Phase des „Kriegskommunismus“; die NÖP ermöglicht Liberalisierungen und marktwirtschaftliche Methoden in Landwirtschaft, Handel und Industrie |
1921/1922 |
Missernte und Hungersnot in Russland mit mehreren Millionen Toten |
1922 |
Rückzug Lenins; Stalin wird Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Russlands Gründung der UdSSR (Sowjetunion), zunächst als Zusammenschluss Russlands, Weißrusslands, der Ukraine und transkaukasischer Gebiete |
1920er-Jahre |
Im Rahmen der sowjetischen Nationalitätenpolitik wird eine nationale, „sozialistisch“ ausgerichtete jüdische Kultur gefördert; jiddische Sprache, Schulen, Presse und Literatur werden vorübergehend gefördert, eigenständige jüdische Bestrebungen und Religionsausübung jedoch unterbunden. |
1924 |
Tod Lenins und Beginn der Auseinandersetzungen um seine Nachfolge |
1927 |
Stalin entscheidet den innerparteilichen Machtkampf in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion für sich |
1928 |
Beginn wiederkehrender Verfolgungskampagnen gegen „bürgerliche Spezialisten“, angebliche „Saboteure“ des „sozialistischen Aufbaus“ u.a. Beginn der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und der „Liquidierung“ des „Kulakentums“ mit Massenenteignungen, Deportationen und Terrormaßnahmen Ausweisung eines besonderen jüdischen Siedlungsgebietes in der Gegend von Birobidschan im fernen Osten Russlands |
1928/1929 |
Mit Umbau und Erweiterung der sowjetischen Lager Entstehung des Gulag als umfassendes Repressionssystem |
1932 |
Wiedereinführung des Passzwangs und Aufhebung der Freizügigkeit. In den Inlandspässen wird unter „Punkt 5“ die Nationalität vermerkt, darunter auch „jüdisch“ |
1932/1933 |
Hungersnot und Hungerpolitik in Ukraine, Kasachstan und Nordkaukasus kosten mehreren Millionen Menschen das Leben |
1934 |
Gründung eines „Jüdischen Autonomen Gebiets“ in Birobidschan Mord am Leningrader Parteichef Sergej Kirow; Anlass zu einer neuen Welle von politischen „Säuberungen“ |
1936 |
Einführung einer neuen sowjetischen „Verfassung“ („Stalin-Verfassung“) mit propagandistischen Zugeständnissen an „Demokratie“ und „Grundrechte“ |
1936–1938 |
Stalinistische „Säuberungen“ in Partei, Militär, Verwaltung, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft („Großer Terror“): Über 1,5 Millionen Menschen werden verhaftet, in Schauprozessen verurteilt, hingerichtet oder in den Lagern des Gulag interniert |
1939 |
August: September: September: |
1939/1940 |
Sowjetischer Winterkrieg mit Finnland |
1940 |
Rumänien muss Bessarabien und die Nordbukowina an die Sowjetunion abtreten; die Gebiete werden Teil der Ukrainischen bzw. der Moldawischen SSR Estland, Lettland und Litauen werden nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen im Juni von der UdSSR annektiert |
1941 |
Juni: Juli: Juli/August: August: September: Oktober: |
1941/1942 |
Entstehung des „Jüdischen Antifaschistischen Komitees der Sowjetunion“, das international auf den Mord an den europäischen Juden aufmerksam machen und die Sowjetunion im „Kampf gegen den Faschismus“ unterstützen soll |
1942 |
Beginn der massenhaften Verhaftung und Deportation von Einwohnern der besetzen sowjetischen Gebiete zum Zwangsarbeitseinsatz im Deutschen Reich Rasche Ausweitung des Partisanenkriegs gegen die deutschen Truppen in den besetzten sowjetischen Gebieten Schlachten zwischen Wehrmacht und Roter Armee um Rschew, Charkow und die Halbinsel Kertsch; deutscher Angriff auf Stalingrad Zahlreiche der von den Deutschen auf sowjetischem Gebiet gebildeten Ghettos werden aufgelöst, ein Großteil der ghettoisierten jüdischen Bevölkerung von Angehörigen des deutschen Sicherheitsapparates ermordet |
1943 |
Februar: Juni–November: August: September: November: |
1944 |
Januar: April: Juni/Juli: |
1945 |
Januar: Mai: |
1946 |
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kämpft die sowjetische Armee weiter gegen nationalistische Widerstandsbewegungen im Baltikum („Waldbrüder“) oder der Ukraine (Organisation Ukrainischer Nationalisten/Ukrainische Aufständische Armee unter Stepan Bandera u.a.) Erneute Verschärfung der ideologischen Kontrolle im Kulturbereich |
1946/1947 |
Wirtschaftskrise und Missernten führen zu einer verheerenden Hungersnot in der Sowjetunion |
1948 |
Januar: Mai: |
1949 |
Das „Jüdische Antifaschistische Komitee“ wird verboten, Angehörige des JAK kommen in Haft Beginn von antisemitischen Kampagnen; Diffamierung von jüdischen Kulturschaffenden und Wissenschaftlern als „wurzellose Kosmopoliten“ und „zionistische Verschwörer“ |
1952 |
Schauprozess gegen Angehörige des „Jüdischen Antifaschistischen Komitees“, der mit mehreren Todesurteilen gegen jüdische Schriftsteller endet |
1953 |
Januar: März: September: |
1956 |
Februar: |
1964 |
Oktober: |
1966 |
Verstärkte Verfolgung politischer Dissidenten in der Sowjetunion (u.a. Verurteilung der Schriftsteller Sinjawsky und Daniel zu Arbeitslagerhaft wegen „Diffamierung des Sowjetsystems“) |
1967 |
Im Sechstagekrieg zwischen Israel und den arabischen Staaten unterstützt die Sowjetunion die arabische Seite und bricht die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab. In der Sowjetunion wird die antiisraelische Propaganda intensiviert; der Sieg Israels führt aber auch zu einem verstärkten Selbstbewusstsein unter sowjetischen Juden. |
1970–1979 |
Mehrere hunderttausend sowjetische Juden verlassen die Sowjetunion und reisen nach Israel oder in die USA aus. Die Ausreisebewegung wird von „antizionistischer“ Propaganda der Sowjetunion begleitet. |
1980 |
Deutliche Einschränkung der Emigrationsmöglichkeiten für jüdische Sowjetbürger |
1985 |
März: |
1986/1987 |
Beginn der „Glasnost“ in der Sowjetunion mit neuen Möglichkeiten der Meinungsäußerung und einer Lockerung der Zensur Wiedereröffnung und Neugründung jüdischer Kultureinrichtungen und Gotteshäuser in Teilen der Sowjetunion |
1988 |
Gründung der Menschenrechtsorganisation „Memorial“, die sich schwerpunktmäßig der Aufarbeitung des stalinistischen Terrors und der politischen Unterdrückung in der Sowjetunion widmet |
1989 |
März: Vermehrte Auswanderungsbestrebungen von Jüdinnen und Juden aus der Sowjetunion November: |
1990 |
April: Juli: Die baltischen Staaten, die Ukraine und Russland erklären sich im Laufe des Jahres für souverän (gegenüber der Sowjetunion). Zunehmende antisemitische Stimmungsmache durch rechtsextreme Gruppierungen in Russland, der Ukraine und dem Baltikum Bis Ende des Jahres haben über 170.000 jüdische Bürgerinnen und Bürger die (ehemalige) Sowjetunion verlassen. |
1990/1991 |
Beginn der Öffnung der Archive von Kommunistischer Partei und sowjetischem Staatsapparat; Opfer politischer Verfolgung in der Sowjetunion bekommen schrittweise Akteneinsicht |
1991 |
Januar: Februar: März–August: Dezember: |
1991/1992 |
Die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder in Deutschland liegt bei etwa 34.000 Menschen, in Nordrhein-Westfalen bei etwa 6.000 Menschen. |
1992–2004 |
Knapp 1,5 Mio. Menschen jüdischer Herkunft verlassen die Gebiete der früheren Sowjetunion, fast eine Million wandern nach Israel aus. Nach Deutschland kommen über 200.000 Personen, durchschnittlich 16.000 pro Jahr. |
2004 |
Die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder in Deutschland liegt bei über 100.000 Menschen, in Nordrhein-Westfalen bei etwa 30.000 Menschen. Circa 90 Prozent der Gemeindemitglieder stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. |
2005 |
Mit dem Inkrafttreten eines neuen Zuwanderungsgesetzes werden die bisherigen Regelungen für „jüdische Kontingentflüchtlinge“ aufgehoben. Die Aufnahme in Deutschland wird zukünftig von strengeren Auflagen (Grundkenntnisse der deutschen Sprache, „positive Integrationsprognose“, Aufnahme durch eine Jüdische Gemeinde) abhängig gemacht. |
2005–2012 |
Seit der Neuregelung der Zuwanderung sind knapp 15.000 jüdische Menschen aus den Gebieten der früheren Sowjetunion nach Deutschland eingereist. |